150 Jahre Kanton Bern beim Bistum Basel
Rede von Arno Stadelmann, Bischofsvikar St. Verena
Wenn wir 150 Jahre Zugehörigkeit des Kantons Bern zum Bistum Basel feiern, geht dies nicht ohne einen Blick zurück auf die Anfänge der Wiederherstellung und Neuumschreibung des Bistums Basel von 1827/28. Nach der Französischen Revolution, nach dem Wiener Kongress durchlief die Schweiz eine sehr bewegte, unruhige und wahrscheinlich auch verletzte Zeit, um sich dann schliesslich als Eidgenossenschaft - als Staat Schweiz - finden zu können.
Als kleine, doch signifikante Illustration dazu lese ich gerne die Präambel jenes Konkordates, das bis heute die Existenz des Bistums Basel rechtfertigt: (ich lese es auf französisch und auf deutsch vor) Diese verschachtelten, komplizierten und von Taktik geprägten Abwägungen sind ein reales Spiegelbild der schwierigen Geburt des Bistums Basel. Wir müssten uns schon ein bisschen in diese Zeit hineinversetzen können, um die Bedeutung und Tragweite dieser Präambel zum heute gültigen Konkordat zwischen dem Hl. Stuhl und den 10 Bistumskantonen erfassen zu können.
Aus folgenden 2 Gründen habe ich dieses Beispiel der Präambel der Konvention ausgewählt:
a) der Stand Bern war von Beginn an aktiv mitbeteiligt - und somit auch interessiert -, dass es für die katholische Bevölkerung im neu umschriebenen Bistum Basel zu einer Regelung kommt, welche die Zukunftsaussichten des neu umschriebenen Bistums nicht gleich wieder ersticken lässt. Der Stand Bern damals 1828 hatte einen respräsentativen katholischen Bevölkerungsanteil auf dem Gebiet des heutigen Kantons Jura sowie des Laufentals.
b) Parallel zur Zeit des Abschlusses fanden sie sog. Langenthaler Gespräche statt. Vertreter der Kantone diskutierten und stritten miteinander, welche strukturellen, finanziellen und verbindlichen Zusagen sie gegenüber dem neu umschriebenen Bistum zu machen gewillt sind. Die Präambel nimmt darauf Bezug, ohne den Ort Langenthal zu nennen (..." die Übereinkunft vom 12. März 1827, betreffend die Wiederherstellung und neue Umschreibung des Bistums Basel, nicht von sämtlichen Kantonen die Genehmigung erhalten hat, namens sie abgeschlossen worden war - so haben die hohen Stände Luzern, Bern, Solothurn und Zug, durch die Überzeugung der dringenden Notwendigkeit, dass dem provisorischen Zustand ein Ende gemacht werde...) einen neuen Anlauf gemacht.
Der protestantische Stand Bern ist ein aktiver Geburtshelfer des heutigen Bistums Basel ( Dies ist auch ein wesentlicher Grund, dass der Kanton Bern 3 Domherren stellt). Das 19. Jh. Ist kirchengeschichtlich interessant, kontrovers und manchmal gar turbulent. Neue Ideen prallten mit Bestehenden aufeinander. Zwar war im 19. Jh. die Präsenz der Kirche und deren Bedeutung für die Gesellschaft noch mehr oder weniger eine Selbstverständlichkeit - jede Person gehörte einer Konfession an. Die Unterschiede bestanden im WIE von Kirche-sein. Wer hat wie was zu sagen? - scheint eine umtriebige Fragestellung gewesen zu sein.
Ich nenne ein paar Stichworte, die das kirchliche Leben im 19. Jh. geprägt haben: - Kulturkampf (vorwiegend in den konfessionell gemischten Gebieten) - Klosteraufhebungen und Enteignung von kirchlichem Gut - Die christkatholische oder altkatholische Kirche entsteht - Der Staat kontrolliert zunehmend, wie das religiöse und kirchliche Leben vor sich zu gehen hat oder hätte - Bei die Revision der Bundesverfassung von 1874 wird der Jesuiten- und Klosterartikel aufgenommen - 1864 erscheint die päpstliche Schrift "Quanta cura/Syllabus errorum" - ein Verzeichnis zeitgenössischer Irrtümer. Diese Schrift hat für viel unglückseligen Unmut gesorgt. Zahlreiche liberal denkende Katholiken wurden durch diese Schrift enttäuscht, und hat bei diesen Menschen das Verhältnis zur katholischen Kirche nachhaltig geprägt. Dass dann Aussagen des 1. Vatikanischen Konzils von 1870/71 in diesem gesellschaftlichen Biotop nicht einfach zu vermitteln waren, versteht sich fast von selbst. Es macht eher den Eindruck, dass die Katholiken auf gesamt-gesellschaftlicher Ebene innerhalb des Bundesstaates Schweiz bei den kulturkampf-ähnlichen Auseinandersetzungen das Nachsehen hatten.
Ebenso meine ich, ohne ein gewisses Interesse für die Abläufe der Kirchengeschichte in der Zeit von der Staatsgründung bis zum 1. Weltkrieg ist es nicht immer einfach, die heute geltenden kirchlichen Gesetze - meist auf kantonaler Ebene - zu verstehen resp. sie entsprechend lesen und interpretieren zu können. 1865 erlangte die Übereinkunft, die wir heute würdigen, Gültigkeit. Wer war zu dieser Zeit Bischof von Basel? Bischof Eugène Lachat (1863 -1886 war er Bischof von Basel, davon verbrachte er nur eine kurze Zeit in Solothurn). Hier stichwortartig sein Profil: 1863 wurde Eugène Lachat, der vorher Pfarrer und Dekan von Delémont war, Bischof von Basel.
Er war offenbar dem Stand Bern ziemlich genehm. Weltliche wie kirchliche Würdenträger feierten bei seiner Bischofsweihe die Zusammenarbeit von Staat und Kirche. Schon bald garte es. Bischof Lachat wollte die päpstlichen Schreiben der Enzyklika "Quanta cura" und "Syllabus errorum" von 1864 respektiert wissen. Im Kanton Solothurn war der Kulturkampf am Laufen. Lachat hatte weder die Möglichkeit noch die Chance, diese spannungsgeladenen Kräfte zu kanalisieren. Vielmehr wurde er kritisiert und etikettiert.
1870 wurde das Seminar in Solothurn geschlossen. 1873 erklärte die Mehrheit der Diözesankonferenz, dass sie Bischof Lachat nicht mehr als Bischof von Basel erachten. Die Stände Luzern und Zug waren gegen diesen Mehrheitsbeschluss der Diözesankonferenz. Der Stand Bern hat sich in dieser Situation - wie es scheint - auch nicht mehr für Bischof Lachat stark gemacht. Der Stand Luzern gewährte dem Bischof von Basel, der gemäss Konkordat in Solothurn wohnen muss, Asyl. Von Luzern aus wirkte Bischof Lachat offensichtlich klug. Das Kirchenvolk hielt zu ihm.
Es wird berichtet, wie Gläubige aus den Kantonen Solothurn, Jura und Aargau zu den Grenzpfarreien im Kanton Luzern oder Zug pilgerten, um ihre Kinder firmen zu lassen, wenn Bischof Lachat dort auf Firmreise war. 1881 weihte Bischof Lachat in Luzern das bistumseigene Priesterseminar ein. St. Beat, wie es später hiess, an der Adligenswilerstr. 15, ist vielen bekannt und war bis vor 2 Jahren das diözesane Priesterseminar St. Beat in Luzern. Bekanntlich ist dieses Grundstück, das seine kirchliche Bestimmung 1881 durch Bischof Lachat bekommen hat, an die Caritas Schweiz vermietet worden. Bischof Lachat - ein Beispiel, wie es doch recht krisenanfällig im 19. Jh. zugegangen ist.
Erlauben Sie mir, eine persönliche Mutmassung. Sie kann falsch sein. Dennoch: Ich habe den Eindruck, dass der Stand Bern im Verhältnis zum Bistum Basel weltoffen, kantonsübergreifend, aufbauend und vermittelnd gewirkt hat, wenn er nicht primär auf innerkantonale Interessen schauen musste:
- 1828 war er Geburtshelfer für das Bistum Basel (Interesse, dass das lange andauernde Provisorium Bistum Basel endlich Konturen bekommt)
- 1865 der ganze Kanton Bern ist Teil des Bistums Basel (Interesse: als Bundeshauptstadt mit diplomatischen Vertretungen und einer allmählich zunehmenden Anzahl von katholischen Parlamentariern)
- Mit der Einführung des kantonalen Kirchengesetzes: die gleichen Anstellungsbedingungen für alle, die in den Berner Kirchendienst aufgenommen werden können Mehr die innerkantonalen Interessen scheinen auf, als der vom Stand Bern unterstütze Bischofskandidat Lachat in Solothurn nicht reüssierte; als 1870 der Staat Bern es Ordensschwestern im Jura untersagte, als Lehrerinnen tätig sein zu können.
Interessen sind immer im Spiel, wenn es um das Verhältnis Kirche und Staat geht; ebenso wenn es um binnenkatholische oder binnenprotestantische Anliegen geht. Ich habe persönlich auch den Eindruck - und ich kann doch nun schon auf einige Jahre Erfahrung der Zusammenarbeit von Bistum Basel und Kanton Bern schauen - , dass wir eine gute, pragmatische und lösungsorientierte Haltung einer Zusammenarbeit stets gefunden haben - und diese Wege auch mit gegenseitiger Aufmerksamkeit und Respekt gegangen sind. Nun ist die Politik im Kanton Bern dran, das Verhältnis Kirche und Staat weiter zu entwickeln. Gerne sind wir bereit, dazu unseren Beitrag als röm.-kath. Kirche aktiv und konstruktiv einzubringen. 150 Jahre - der ganze Kanton Bern auch als Bistumskanton - zeigen, dass Neues und Verlässliches auch Zeit, Geduld, Umwege, Missverständnisse und Auseinandersetzung beinhalten darf.
Schliesslich sind wir nicht Kirche für uns selbst. Wir wollen die Botschaft der Evangelien und eines gemeinsamen biblischen Gottes für eine sinnvolle und würdige Gestaltung unserer Lebenswirklichkeiten im Kleinen wie im Grossen einbringen.
Biel, den 5. Juni 2015 Arno Stadelmann Bischofsvikar St. Verena