Dawit heisst in Wirklichkeit anders. Er will anonym bleiben. Seine Identität ist der Redaktion bekannt. Symbolfoto: iStock
4600 Kilometer bis Eritrea
Gespräch zum Flüchtlingssonntag mit einem jungen Mann aus Eritrea, der kein Asyl erhält. Eigentlich möchte er Mechaniker werden. Nichts weiter.
Das ist die Geschichte eines jungen Mannes aus Eritrea, der gerne eine Mechanikerlehre absolvieren möchte. Ich nenne ihn Dawit.
von Andreas Krummenacher
Gesprochen habe ich mit ihm Ende Mai im Büro der Beratungsstelle für Asylsuchende der Katholischen Kirche Bern. Das mit der Lehre wird nicht passieren. Dawit lebt seit vier Jahren in der Schweiz. Inzwischen haben die Behörden und Gerichte entschieden, dass er kein Recht auf Asyl hat. Die Rückkehr nach Eritrea ist für Dawit nicht denkbar. Er bekommt darum bloss Nothilfe und lebt in einer «Kollektivunterkunft» in der Nähe von Bern. 56 Franken hat er in der Woche für alles. Geflüchtet ist er 2014, weil er die Unsicherheit nicht mehr ertrug. Die Unsicherheit, in die Armee eingezogen zu werden. In Eritrea bedeutet ein Aufgebot der Armee Dienst auf unbestimmte Zeit. An eine selbstbestimmte Lebensplanung ist nicht zu denken.
Dawit spricht gut deutsch. Fröhlich ist er nicht. Er macht sich Sorgen. Die Unsicherheit, vor der er geflohen ist, diese Unsicherheit ist er nie los geworden. Dawit stammt aus der Region Anseba, das liegt im Norden Eritreas. Er hat acht Geschwister. Der Familie geht es gut, sie hat einen Garten. Dawit arbeitet in der Landwirtschaft. Mit dem Aufgebot der Armee ändert sich alles. Dawit denkt zuerst, er sitze das aus. Wenn «sie» kommen, um ihn zu holen, flüchte er einfach in die Berge. Das geht aber nicht lange gut. Er ist innerlich sehr unruhig, kann nicht mehr schlafen. Dawit flieht.
Zunächst in den Sudan. Dort arbeitet er in einem Restaurant. Allerdings sind die Bedingungen nicht gut. Die vorwiegend muslimische Umgebung ist für den gläubigen Katholiken schwierig. Die Hoffnung ist nun Europa. Da soll es Demokratie geben und keine Unsicherheit mehr. Also bricht er auf, wendet sich an die entsprechenden Leute. Sie bringen ihn nach Libyen. Die Reise durch den Wüstenstaat an die Küste dauert zwölf Tage. Sie sind als Gruppe unterwegs. Das Wasser erhalten sie in Schläuchen, es ist ganz leicht mit Benzin gestreckt, damit die Menschen immer nur kleine Schlucke trinken und nicht gleich alles am ersten Tag aufbrauchen.
Dann die Fahrt über das Mittelmeer. Die Holzboote sind in schlechtem Zustand. Die See ist rauh, die Wellen hoch. Dawit glaubt, er werde sterben. Doch ein Hubschrauber wird auf die Nussschalen aufmerksam, ein Rettungsschiff nimmt die Flüchtlinge auf. Dawit wird an Land gebracht, er setzt sich ab und landet schliesslich im Tessin. Alles ist anders, alles ist neu. Nun läuft der ganze Aufnahmeprozess ganz automatisch ab. Dawit landet schliesslich im Kanton Bern. Immer wieder muss er die Unterkunft wechseln.
Dawit macht sich grosse Hoffnungen, er glaubt an die Kraft der Demokratie. Er engagiert sich, lernt Deutsch, besucht Kurse. In Interlaken kann er in einem Restaurant eine Vorlehre machen. Es gefällt ihm gut, der Chef ist zufrieden. Dann der negative Entscheid der Behörden. Mit diesem Entscheid ist es Dawit verboten, zu arbeiten oder zur Schule zu gehen. Er ist in einem kompletten Schwebezustand. Die innere Unruhe ist wieder da, die Verzweiflung auch.
Es ist deprimierend. Dawit möchte weiterkommen im Leben, doch es wird ihm verwehrt. Er ist in der eritreisch-katholischen Gemeinde in Wabern aktiv, spielt Keyboard und Fussball, er singt. Diese Struktur gibt ihm Halt, hier bekommt er Hilfe.
In diesen Tagen finden landauf, landab Lehrabschlussprüfungen statt. Wäre Dawit in Bern geboren, hätte er mit grosser Wahrscheinlichkeit jetzt seine Abschlussprüfung, beispielsweise als Polymechaniker am Berufsbildungszentrum in Thun. Er würde ohne Zweifel bestehen, der Lehrbetrieb würde ihn übernehmen. Er würde die RS machen, 18 Wochen und keinen Tag länger. Anschliessend würde er vielleicht mit seiner Freundin die erste gemeinsame Wohnung beziehen ... Das wird alles nichts. Die Unterschiede auf dieser Welt sind gross. Für einen Jungen aus Thun ist Normalität, was ein Junge aus Eritrea nicht einmal zu träumen wagt. Dawit kann nicht nach vorn und schon gar nicht zurück, sämtliche Einsprachen waren erfolglos. Jetzt kann er nur noch auf den Heiligen Geist hoffen. Es wäre ihm zu gönnen. Dieser junge Mann ist voller Kraft, er ist Mensch!
In diesem Jahr will die Kirche speziell auf die Situation abgewiesener Asylsuchender aufmerksam machen. Die Asylberatung der Fachstelle Sozialarbeit der Katholischen Kirche Bern bietet diesen Menschen einen Raum, in dem sie gehört und wahrgenommen werden, sowie Rat und Unterstützung.
Weitere Infos: www.kathbern.ch/fasa
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