Hamid und sein Sohn Wael in ihrem Zuhause. Foto: Alexandra Wey.
Acht Jahre überleben auf der Flucht
Syrische Flüchtlinge im Libanon - wie Caritas Schweiz hilft
«Wir planten, ein bis zwei Monate im Libanon zu bleiben, bis das Schlimmste vorbei sein würde», erzählt der syrische Familienvater Hamid al-Beik*. Das war im Jahr 2011. Bis heute konnte die Familie nicht zurückkehren und kämpft mit Unterstützung der Caritas ums Überleben.
von Anna Haselbach, Caritas Schweiz
Der Himmel hängt tief in der Bekaa-Ebene und wechselt seine Farbe im Stundentakt. In einem Vorort der Regionshauptstadt Zahle steigt Hamid al-Beik wie jeden Tag auf das Hausdach, um den Wassertank zu füllen. Eben noch hat es geregnet. Hamid rutscht auf dem feuchten Boden aus und fällt mehrere Meter vom Dach. Schulter und Bein sind gebrochen.
Mit vier Kindern in einer Garage
«Plötzlich konnte ich nicht mehr arbeiten. Ich fürchtete, meine Familie nicht ernähren zu können.» Drei Monate nach dem Unfall erzählt Hamid von dem Tag, der die sechsköpfige Familie einmal mehr in existenzielle Nöte brachte. Barfuss sitzt er auf einer Matratze in der Garage eines Mehrfamilienhauses, die aktuell ihr Zuhause ist: ein grosser, kahler Raum, die scheibenlosen Fenster notdürftig mit Plachen zugehängt. Eine Sperrholzplatte trennt den Wohn- vom Schlafbereich. Seine Frau Laila, die kleine Tochter auf dem Arm, schiebt immer wieder die dünne Eingangstür zu, um wenigstens die schlimmste Kälte draussen zu halten. Eine Heizung haben sie nicht. Fliessendes Wasser gibt es nur, wenn sie von Hand den Wassertank füllen, der Hamid zum Verhängnis wurde.
«Wir haben Glück mit der Unterkunft», sagt Hamid dennoch. «Unser Vermieter ist geduldig.» Er und seine Frau müssen nicht – wie so viele der Flüchtlinge in der Bekaa-Ebene – in ständiger Angst vor dem Rauswurf leben, sobald sie die Miete einmal nicht pünktlich bezahlen können.
1,5 Millionen Vertriebene ohne Perspektive
Verarmt leben mehr als ein Drittel der etwa 915‘000 registrierten und schätzungsweise 650‘000 nicht erfassten syrischen Flüchtlinge im Libanon in der Bekaa-Ebene im Osten des Libanons. Sie kommen in Zeltlagern unter, aber auch in verlassenen Bauernhöfen oder eben in Garagen. Bezahlte Jobs sind sehr rar.
Jede der Familien hier hat ihre eigene Geschichte von Verlust und Flucht. Familie al-Beik kommt aus Homs, wo Hamid in einer Druckerei arbeitete. Im Spätsommer 2011, einige Monate nach Ausbruch des Kriegs, hatte sein ältester Sohn, damals vierjährig, bereits Gewalttaten gesehen, die ihn bis heute schwer traumatisiert haben. Hamid und Laila mussten ihre Familie in Sicherheit bringen. «Ich hatte Bekannte im Libanon, die ich regelmässig besuchte, und beschloss, dieses Mal meine Familie mitzunehmen.» Ein bis zwei Monate wollten sie bleiben, bis sich die Lage in Homs beruhigt haben würde. Ihre Heimat haben sie bis heute nie wiedergesehen.
Caritas hilft in der Notlage
Stattdessen ziehen sie seither im Libanon von Unterkunft zu Unterkunft. Hamid verkaufte als Strassenhändler Parfum, Socken, Unterwäsche. Knapp konnte sich die Familie damit über Wasser halten – bis zum Unfall. Da sprang Caritas Schweiz ein, die zurzeit 220 Familien in ihrer Notlage aushilft. Sie übernahm die Kosten für die Schrauben und Platten, die Hamids Knochen nun zusammenhalten. Vor allem aber unterstützt sie die Familie sechs Monate lang mit 250 Dollar Bargeldhilfe pro Monat. So können sie über die Runden kommen, bis Hamid wieder gesund ist.
Die meisten Geflüchteten in der Bekaa-Ebene harren seit Jahren zwischen Hoffen und Bangen aus. Sie sind am Ende ihrer Kräfte. «Dieser Zustand ist kaum noch auszuhalten. Schutz und Sicherheit sind das Wichtigste im Leben», sagt Hamid. Es stehen immer weniger Gelder der internationalen Gemeinschaft zur Verfügung, um dieser humanitären Katastrophe Herr zu werden. Hamid gibt nicht auf. Er möchte, dass seine Kinder eine Zukunft haben, auch seine bald einjährige Tochter. Ihr Name bedeutet auf arabischen «gedeihen, erblühen» und bringt die Hoffnung der Eltern zum Ausdruck.
*Alle Namen zum Schutz der Personen geändert