Suzanne Valadon: Adam et Eve (1909); Centre d'art et de culture Georges-Pompidou. Foto: The Artchives, Alamy

Adam & Eva oder vom Nackt-Sein

19.04.2018

Woran denken Sie, wenn Sie «Adam und Eva» hören? An die ersten Menschen? An einen Apfel oder einen Sündenfall? Was steht eigentlich von alldem im biblischen Text?

Woran denken Sie, wenn Sie «Adam und Eva» hören? An die ersten Menschen? An einen Apfel oder einen Sündenfall? Oder daran, dass Eva alle Schuld zugeschoben wird? Den meisten wird heute wohl solches oder ähnliches in den Sinn kommen. Doch von alledem sagt der biblische Text rein gar nichts!

Die Erzählung von Adam und Eva steht im 2. und 3. Kapitel des Genesisbuches. Es geht in der sogenannten Urgeschichte (Genesis 1–9) nicht um die «ersten» Menschen, sondern um den Menschen an sich, das heisst um das Menschsein: Wie ist der Mensch – jeder Mensch? Was macht das Menschsein aus? Was ist der Mensch, Mann*Frau?

Um diese Frage geht es auch bei Adam und Eva. Die meisten Bibelausgaben geben Genesis 3 eine Überschrift wie: «Der Sündenfall» (Lutherbibel 2017; Zürcherbibel 2007) usw. Doch diese Überschriften gehören gar nicht zum Bibeltext! Sie sind vielmehr von jenen, welche die Bibel übersetzten und als Buch herausgaben, hinzugefügt worden, um den biblischen Text zu strukturieren.

Diese Überschriften beeinflussen aber sehr stark, wie wir den eigentlichen Bibeltext verstehen – oder missverstehen. Dies zeigt sich auch in Genesis 3: Denn im biblischen Text kommen weder das Wort «Sünde» noch «Schuld», «Übertretung», «Fall» oder «Ungehorsam» vor. Wenn aber all diese Worte nicht in Genesis 3 stehen, so wird das Thema ein anderes als «Sünde» sein.

Der Schlang

Die Erzählung beginnt meines Erachtens bereits in Genesis 2,25 mit der Feststellung: «Beiden, der Mensch und seine Frau, waren nackt (hebr. ‘arom), aber sie schämten sich nicht voreinander. » Wie sollten sie auch? Sie sind ja gut erschaffen und sollen einander «anhängen» und «ein Fleisch» werden (2,24), das heisst, die Sexualität geniessen.

Da tritt die Schlange auf: Die Kunstgeschichte weist eine lange, äusserst frauenfeindliche Bildtradition auf, in welcher die Schlange als verführerische Frau dargestellt und somit die Frau zur Verführerin gemacht wurde (Raffael, Michelangelo usw.). Ganz anders der biblische Text: Hier ist erstens der hebräische Ausdruck für Schlange maskulin (hebr. nachasch), und zweitens ist «der Schlang» einfach ein von Gott geschaffenes Tier, wie es explizit heisst: «Der Schlang war klüger (‘arum) als alle Tiere des Feldes, die Gott JHWH gemacht hatte» (3,1).

Der Ausdruck «‘arum» (klug, verstehend) hat im Alten Testament zudem immer eine positive Bedeutung. Interessanterweise hat das Wort «klug» im Hebräischen die genau gleichen Konsonanten wie das Wort «nackt» ( ). Von den Konsonanten her könnte auch übersetzt werden: «Der Schlang war nackter als alle Tiere des Feldes» – was ja dem Aussehen von Schlangen durchaus entspricht.


Vom Öffnen der Augen

Der Schlang behauptet nun, Adam und Eva würden nicht sterben, wenn sie von der verbotenen Frucht ässen, sondern Gott wisse: «An dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und erkennt Gut und Böse» (3,4f).

Aufgrund dieser Aussichten ist es völlig verständlich, dass die Frau und der Mann von der Frucht essen. – Nebenbei bemerkt: es ist kein Apfel, sondern eine unbestimmte Frucht (hebr. peri). Spannend ist, wie es nun weitergeht: Aufgrund der bisherigen Erzählung wäre es logisch, wenn den beiden nun die Augen aufgingen und sie die Erkenntnis von Gut und Böse erlangen würden.

Doch Genesis 3,7 formuliert: «Da gingen beiden die Augen auf und sie erkannten» – nicht etwa Gut und Böse, sondern – «dass sie nackt waren. Und sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.» Meiner Meinung nach ist das ein Hauptthema der Erzählung, unser Nackt- und Bloss-Sein, und zwar im Sinne eines So-Seins verstanden: Ich bin so, wie ich bin – nicht grösser und nicht kleiner, nicht stärker oder klüger usw.

Und haben wir Menschen mit unserem So-Sein, mit der Selbstannahme, nicht seit jeher und immer wieder unsere liebe Mühe? Wären wir oft nicht gerne anders? Besser, schöner, intelligenter? Genau dies thematisiert Genesis 2,25–3,24.

Doch wie reagiert Gott in dieser Erzählung? Erfahren Sie dazu mehr auf www.glaubenssache-online.ch

André Flury