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Adventszeit

01.12.2022

Kolumne aus der Inselspitalseelsorge

Die Adventszeit hat schon begonnen und nimmt jetzt ihren Lauf. Als Bitte für diese Woche mitzunehmen, wird mir in einem Begleitheft vorgeschlagen: «Ich bitte Gott, mir die Augen zu öffnen für die Illusionen, mit denen ich mein Leben beschwere.» Im Kalender «Der andere Advent» ist mir die Aussage «Hellsichtig wird mein Leben im Winter» aufgefallen.

Ich denke an die Reihe für mich wichtiger Menschen, die in kurzer Zeit hintereinander verstorben sind. Sie alle waren für mein Berufsleben zu bestimmten Zeiten sehr hilfreich. Die Abdankungen haben dazu beigetragen, diese Menschen noch einmal neu in einem grösseren Kontext zu sehen. Das Erinnern und Zusammensein mit Menschen, die nicht mehr auf dieser Erde sind, tut mir gut und findet Raum in diesen Tagen.

Ich habe erlebt, wie die Musik in Konzerten mich wie in einem Waschgang gereinigt und erneuert hat. Ich darf nach innen gehen, hinsehen, nachhören, geschehen lassen. Mit wenig Schwung, ernsthaft und versonnen. Eine Patientin, die zunächst ganz ablehnend wirkte, kommt dazu, dass sie mich auffordert, doch einen Stuhl zu nehmen. Sie erzählt, dass sie in den letzten zwei Jahren fast nur im Spital, in der Reha oder mit Spitex am Warten auf eine weitere Operation war. Neben Rebellischem und schmerzhaftem Ausgeliefertsein teilt sie mit mir auch, dass sie die vielen Monate zu ihrem Erstaunen in gewisser Weise als kontinuierliche Weiterbildung erlebt habe. Sie hätte nie für möglich gehalten, was ihr diese Phase des Nichtserreichenkönnens für eine Auseinandersetzung und Schulung bereiten würde.

Wie besonders ist doch diese Zeit. Es passiert nicht viel; sie ist nicht so produktiv. Es geschehen Dinge, die ich im Machenmodus leicht übersähe und überginge. Kostbar – erst auf den zweiten Blick.

Ingrid Zürcher, ref. Seelsorgerin

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