Blick in die Ausstellung. Foto: © Tanya Karrer
Alle zwei Wochen wird eine Frau ermordet
Ausstellung zu Berner Frauenhäusern
Am 23. November öffnete die Ausstellung «Feuer und Flamme für eine Gesellschaft ohne Gewalt» in der Pfarrei Dreifaltigkeit ihre Tore. In Bild, Text und Ton wird die bewegte Geschichte der Frauenhäuser und Beratungsstellen für häusliche und sexuelle Gewalt in Bern und Thun nachgezeichnet. Erinnert wird vor allem an die Pionierinnen aus der Gründerzeit, die sich aus Solidarität mit den Betroffenen für die institutionelle Verankerung der Opferberatung starkmachten.
Von Antonio Suárez, freier Journalist
Am 10. Februar 1980 nahm das erste Frauenhaus Berns in der Alten Spinnerei im Felsenau-Quartier seinen Betrieb auf. Es bot gewaltbetroffenen Frauen in acht Zimmern temporären Schutz vor ihren meist männlichen Peinigern und war von Anfang an voll ausgelastet. Damit war Bern nach Zürich und Genf die dritte Schweizer Stadt, die eine solche Einrichtung etablierte. Frauenhäuser sind Zufluchtsorte für Frauen und deren Kinder, die von körperlicher, psychischer oder sexualisierter Gewalt betroffen und auf beratende Unterstützung angewiesen sind. Das erste Schutzhaus dieser Art war 1971 in London auf Initiative der britischen Aktivistin Erin Pizzey entstanden.
Stiftung gegen Gewalt an Frauen
Federführend im Berner Kontext war die Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern, die sich im Zuge der Neuen Frauenbewegung Ende der Siebzigerjahre formiert hatte. Bedeutende Exponentinnen der ersten Stunde waren unter anderem die Linkspolitikerin Joy Matter, ehemalige Gross- und Gemeinderätin für die Partei Junges Bern und Witwe des berühmten Chansonniers Mani Matter, und die Frauenrechtlerin und Rechtsanwältin Marianne Hammer-Feldges, die als erste Stiftungsratspräsidentin amtete.
In Thun war es die Sozialdemokratin Verena Kauert, welche in den späten Neunzigern mit einer Interpellation im Grossen Rat das erste Frauenhaus für das Berner Oberland erwirkte.
Beiträge der christlichen Kirchen
Entscheidend bei der Gründung war in Bern eine anonyme Grossspende einer christlichen Frauenorganisation. «Beide Landeskirchen trugen zur Finanzierung der Stiftung bei, und tun dies bis zum heutigen Tag. Man kann durchaus sagen, dass es die Frauenhäuser heute womöglich ohne die anfängliche Unterstützung durch kirchliche Kreise nicht gäbe», sagt Tanya Karrer, Ausstellungskuratorin von «Feuer und Flamme» und Autorin des gleichnamigen Jubiläumsbuches.
Tatsächlich übernahm der Kanton Bern erst ab 1981 einen Teil der Betriebsfinanzierung. Auch danach noch waren die Frauenhäuser zu einem guten Teil unterfinanziert.
Ausstellung
Im Fokus der Ausstellung stehen die Frauen, die sich an vorderster Front für die Opfer von Gewalt einsetzten. Noch heute setzt sich der aktuell von der Rechtspsychologin Leena Hässig-Ramming präsidierte Stiftungsrat ausschliesslich aus Frauen zusammen, obschon auf operativer Fachebene auch Männer zugelassen sind.
Vermittelt wird die Geschichte und das heutige Wirken der Stiftung in erster Linie über fünf Videoaufzeichnungen von Gesprächen, die Ausstellungsmacherin Karrer mit den Gründerinnen und aktuellen Protagonistinnen geführt hat. Sequenzen aus diesen Gesprächen werden im Originalton dem Publikum präsentiert. Neben den Videostationen fassen Ausstellungstafeln die Chronik der Ereignisse zusammen. Ausserdem gibt es noch zwei Mitmachstationen, an denen die verschiedenen Erscheinungsformen der Gewalt thematisiert werden.
«Die Ausstellung behandelt ein Stück Berner Geschichte. Die Ereignisse sind sehr lokal verhaftet. Spannend finde ich insbesondere, wie sich aus einem losen, basisdemokratisch organisierten Kollektiv ohne starre Strukturen mit der Zeit eine professionelle Institution bildete», schildert Karrer. Den Mehrwert der Ausstellung sieht die Medizinhistorikerin und Sozialanthropologin auch in der Sensibilisierung der Öffentlichkeit.
21 Morde an Frauen pro Jahr
Welche gesellschaftliche Relevanz das Thema hat, untermauern die offiziellen Statistiken. Durchschnittlich stirbt in der Schweiz alle zwei Wochen eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Expartners. Gemäss Bundesamt für Statistik wurden letztes Jahr 21 Femizide begangen, und im laufenden Jahr ist die Zahl nach Verlautbarungen von Frauenstreikorganisationen sogar auf einen neuen Rekordwert von 25 angestiegen. Angaben der Stiftung zufolge braucht es in der Schweiz nach wie vor mehr Schutzplätze und eine bessere Dotierung der Beratungsstellen, zumal die Frauenhäuser seit ihrer Entstehung notorisch ausgelastet sind.
Die Ausstellung im Areal der Stadtberner Pfarrei Dreifaltigkeit (Eingang Sulgeneckstrasse 13) findet noch bis am 8. Dezember 2021 statt.
Der Eintritt ist frei.