Eine Hebamme durchtrennt nach einer Wassergeburt vorsichtig die Nabelschnur. / Foto: istock
«Als Hebamme brauche ich alle meine Sinne»
Vier Hebammen erzählen von ihrem Beruf
Gute Hebammen vermitteln in jeder Situation Ruhe, Sicherheit und Vertrauen. Sie mögen Menschen, unterstützen sie vor, während und nach der Geburt und verstehen sich als Anwältinnen von Frau und Kind. Vier Hebammen an unterschiedlichen Punkten ihrer Laufbahn erzählen von ihrem Beruf, einem der urtümlichsten der Welt.
Aufgezeichnet von Anouk Hiedl / Fotos: Pia Neuenschwander
Rebekka Hänni: «Als Pflegefachfrau war ich mit einer Hilfsorganisation einen Monat lang in Manila unterwegs. Einmal zurück, arbeitete ich temporär beim Bundesasylzentrum Bern und danach auf dem Wochenbett. An diesen drei Orten sah ich Frauen und Kinder in verschiedensten Lebensumständen. Ich merkte, dass ich gern das Wissen und die Fähigkeit hätte, Frauen während der Schwangerschaft, Geburt und im Wochenbett zu begleiten. Deshalb werde ich nun Hebamme.
Es ist etwas Besonderes, Menschen beim Übergang in einen neuen Lebensabschnitt zu unterstützen. Als Hebamme brauche ich dafür alle meine Sinne, vor allem den Tastsinn und meine Hände. Der Hebammenberuf ist wortwörtlich ein Handwerk, aber auch eine Kunst, gerade wenn unsere altbewährten angewandten Fertigkeiten trotz des technischen Fortschritts wichtig bleiben. Diese Hebammenfertigkeiten erlerne ich nun. Sie sind auf der ganzen Welt ähnlich. Mit anatomisch-medizinischen Kenntnissen und den Leopold’schen Handgriffen tasten wir den Bauch der Schwangeren ab, um die Lage des Ungeborenen festzustellen. Mit dem Pinard-Hörrohr machen wir die kindlichen Herztöne aus. Eine Frau soll geborgen und ungestört gebären können.»
Ramona Aebischer: «Ich begleite Menschen in ihr Familie-Werden, bestärke werdende Mütter in den Wehen und Eltern während der Geburt. Ich empowere sie in ihrer Kraft, um gefühlt Unmögliches möglich zu machen. Ich stärke sie darin, ihren Körper, ihr (Ur-)Vertrauen und ihre Ressourcen zu spüren und (wieder) aufzubauen. Dankbar und voller Demut bin ich dabei, wenn Eltern ihr Neugeborenes bestaunen, bewundern und kennenlernen. Eine unerwartete Geburt vergesse ich nie: Auf dem Parkplatz unserer Notfallstation hat eine Frau unter dem Sternenhimmel einer lauen Sommernacht ihre Tochter aus einer Steisslage heraus wunderschön geboren.
Eltern bei der Geburt im Spital zum Teil erstmals zu sehen, ist herausfordernd. Ich muss die Bedürfnisse aller rasch verstehen und die Situation adäquat einschätzen. Die unregelmässigen Schichten sind abwechslungsreich, aber auch sehr anstrengend. Ich liebe es, vom Erfahrungsschatz älterer Hebammen zu profitieren, das ist eine riesige Ressource. Als Hebamme fördere ich Menschen aus verschiedenen Kulturen in ihrer Eigenverantwortung und Selbstbestimmtheit und vermittle Wissen. Bei Schwangerschaftskontrollen buche ich oft Dolmetscherinnen, denn alle sollen informiert entscheiden können. Das ist ein grundlegendes Recht, insbesondere für die Frauen.»
Katharina Jenzer: «In unserem Beruf ist nicht alles nur ‹jö›, sehr viel ist auch intensiv und aufwühlend. Ich begleite Eltern vor, während und nach der Geburt und auch, wenn ein Kind in dieser Zeit stirbt. Ich habe den Eindruck, dass die Geburt in unseren Breitengraden zu einem Wellness-Ereignis werden soll. Situationen können sich in einem Moment rasch verändern, es braucht plötzlich einen Damm- oder Notkaiserschnitt, oder es muss es schnell gehen, um Leben zu retten. Da will ich gut unterstützen und erklären, damit die Frauen das nicht als ‹Gewalt› erleben. Der Umgang mit den Schmerzen reicht von ‹Wow, hab’ ich Kraft!› bis hin zu ‹Gell, ich muss jetzt nicht sterben?›
Das Hebammenwesen ist ein urtümliches Handwerk und auch ein Kunsthandwerk, in dem viel Empathie steckt. Damit alle, wenn möglich, die Geburt gut überstehen. Früher waren Hebammen etwas zwischen Hexe und weiser Frau. In den letzten 20 Jahren habe ich 650 Geburten begleitet. Im Geburtssaal wären es mehr gewesen. In dieser Zeit ist die Zusammenarbeit zwischen Ärzteschaft und Hebammen partnerschaftlicher und wertschätzender und die Schwangerschaft medikalisierter geworden. Häufige Routinechecks können Sicherheit geben, aber auch Angst schüren. Mit Interesse und Liebe lasse ich mich auf unterschiedlichste Menschen ein. So kann ich ihnen das geben, was sie in dem Moment brauchen.»
Marianne Haueter: «Zum Schönsten als Hebamme gehörten für mich die Glücksmomente nach einer Geburt, wenn alle Beteiligten von Freude erfasst werden. Zum Schwierigsten die seltenen Notfälle, in denen wir um das Leben von Mutter oder Kind oder beiden bangen mussten. Die Geburtshilfe hat sich ab den 1960ern vom häuslichen Umfeld immer mehr ins Spital verlagert. Damit ging ein Verlust der Berufsautonomie von Hebammen und ein Wandel zu einem männlich und hierarchisch organisierten Umfeld einher. In den 1980ern verstand man gesunde Schwangere in Spitälern als ‹Patienten› mit medizinisch behandlungsbedürftigem Körper.
Das ständige Ringen, Frauen vor unnötigen Interventionen wie Geburtseinleitungen, Dammschnitten, Rasuren oder Einläufen zu schützen, fand ich sehr zermürbend. Mittlerweile wird die ‹normale› oder ‹physiologische› Geburt wieder mehr wertgeschätzt. Das Hebammenwesen widerspiegelt für mich die gesellschaftliche Werthaltung gegenüber dem Kinderkriegen und Elternwerden. Das hängt auch davon ab, wie Hebammen in ihrer Berufsautonomie und Ausbildung gefördert werden und wie viele Ressourcen unserer Gesundheitsversorgung in die Schwangerenvorsorge und häusliche Wochenbett-Besuche fliessen. Der ökonomische Druck hat zugenommen, die Administration hat sich vervielfacht. Das geht auf Kosten der Zeit für Pflege und Betreuung und der Berufszufriedenheit vieler Hebammen.»
Der Dokumentarfilm «Hebammen – Auf die Welt kommen» gibt Einblick in diesen Beruf. Die Regisseurin Leila Kühni im Interview: www.kathbern.ch/pfarrblatt/hebammenfilm.