Regierungsrätin Evi Allemann (links stehend) und Kirchgemeindeverbandspräsident Hansruedi Spichiger (Mitte stehend) in Langenthal. Samstag, 11. Mai.
Als Napoleon den Staatsschatz raubte
Der bernische Kirchgemeindeverband tagt in Langenthal. Regierungsrätin Evi Alleman signalisiert den Kirchen, dass die Gelder des Kantons nicht bedingungslos gesichert sind.
An der Mitgliederversammlung des Kirchgemeindeverbandes des Kantons Bern wurden sämtliche Geschäfte einstimmig angenommen. Als Referentin im Kirchgemeindehaus Geissberg in Langenthal trat Regierungsrätin Evi Allemann auf. Ihre Direktion gibt 600 Dienstverhältnisse ab.
Der Mai könnte auch Vereinsmonat heissen, finden doch landauf landab Vereins- und Mitgliederversammlungen statt. Der Ablauf ist überall identisch. Jahresbericht, Jahresrechnung, Budget, Bericht der Revisor*innen. Nun ist es an den Vereinsmitgliedern das alles zu prüfen, darüber abzustimmen
Beim Kirchgemeindeverband sind diese Geschäfte in der Regel unbestritten. Es geht um ein Budget von gut 34'000 Franken, es geht um einen Mitgliederbeitrag von 150 Franken, es geht um eine Jahresrechnung, die mit 10'000 Franken Überschuss abschliesst, es geht um den Jahresbericht des Vorstands und dessen Entlastung. Wenig überraschend wurde alles einstimmig angenommen, der Vorstand kann ein neues Vereinsjahr in Angriff nehmen.
Neue Leute
Im Vorstand galt es, zwei Personen zu ersetzen. Im vergangenen November verstarb der damalige Vizepräsident Walter Riedweg (wir haben berichtet). Er war vor 15 Jahren Mitbegründer des bernischen Kirchgemeindeverbandes. Riedweg war acht Jahre lang Präsident der Synode der röm.-kath. Landeskirche. Für ihn wurde Patricia Lehmann-Halter, Präsidentin der röm.-kath. Kirchgemeinde Seeland-Lyss, gewählt. Sie lebt in Rüti bei Büren.
Für den abtretenden Finanzverantwortlichen Bruno Worni wurde Prof. Dr. Beatrice Amrein gewählt. Die Mathematikerin ist noch bis Ende 2019 Präsidentin der christkath. Kirchgemeinde Bern.
Handfester Verband
Der Kirchgemeindeverband bietet in erster Linie handfeste Unterstützung für die Kirchgemeinden. Er betreibt beispielsweise eine Informationsplattform zum Rechnungswesen. Die Regeln und Vorgaben des Kantons für die Rechnungslegung in den Kirchgemeinden werden stetig angepasst. Hier leistet der Verband Unterstützung.
Neu hat der Verband in Zusammenarbeit mit dem Bildungszentrum für Wirtschaft und Dienstleistungen einen Weiterbildungslehrgang für Mitarbeitende von Kirchgemeindesekretariaten auf die Beine gestellt. Die Kursmodule reichen von der Einführung in rechtliche Fragen über Datenschutz und Protokollführung bis hin zu Kommunikation.
Daneben ist der Kirchgemeindeverband aber auch eine Lobbyorganisation für die Sache der Kirchen, es ist eine Organisation mit Einfluss. Schon bei der Begrüssung und Einführung machte Verbandspräsident Hansruedi Spichiger klar, dass die Arbeit im Zusammenhang mit dem neuen Landeskirchengesetz zentralen Stellenwert hatte und hat. Der Verband gab sich schon bei der Vernehmlassung aktiv ein und er sass jetzt bei den konkreten Verhandlungen über den Loslösungsprozess des Kantons von den Kirchen mit am Tisch.
Die Pfarrpersonen werden gemäss dem neuen Gesetz nicht mehr vom Kanton, sondern von den Landeskirchen angestellt. Für Hansruedi Spichiger sind aber vor Ort die Kirchgemeinden, namentlich der Kirchgemeinderat, verantwortlich für das Personal. Man solle Kooperationen prüfen, grössere Kirchgemeinden könnten mit ihren Verwaltungen kleinere Kirchgemeinden unterstützen. Jetzt sei das Geld noch vorhanden, um «regional gemeinsame Lösungen» zu suchen. Hansruedi Spichiger sprach das Wort für die Kirchgemeinden. Diese müssten wachsam bleiben. Nach sechs Jahren will der Kanton seine Zusammenarbeit mit den Kirchen auf den Prüfstand stellen, wie dann die Verteilung der finanziellen Mittel ausgestaltet werde, wisse man nicht.
Regierungsrätin Evi Allemann und die Religionsvielfalt
Im Anschluss an den statutarischen Teil referierte Regierungsrätin Evi Allemann über das «Verhältnis von Kirche und Staat im Lichte der neuen Kirchengesetzgebung».
Am 1. Januar 2020 gehen rund 600 Dienstverhältnisse mit Pfarrpersonen des Kantons an die Landeskirchen über. Für diese Menschen ändere sich vorerst nichts, so die Kirchendirektorin. Die Arbeitsverträge und Vereinbarungen würden unverändert an die Landeskirchen übergeben, die Anstellungsbedingungen dürfen sich nicht verschlechtern. Für die Angestellten würden sich bloss die Zuständigkeiten ändern.
Die Kirchgemeinden würden den Status als selbstständige Körperschaften des kantonalen Rechts, analog den Einwohnergemeinden, behalten. Ihre Autonomie bleibe also unangetastet.
Sie referierte sehr ähnlich wie im Interview, das diese Zeitung mit Evi Allemann für die «pfarrblatt»-Ausgabe Nr. 10 geführt hat. Sie legte einen starken Fokus auf die Religionsvielfalt. Die Gesellschaft ändere sich. «Wir wollen im Kanton Bern die anderen Glaubensgemeinschaften in den Blick nehmen, wir wollen ihnen die Möglichkeit geben, ihren Beitrag, den wir wertschätzen, zu leisten», so die Regierungsrätin.
Man werde alle diese Entwicklungen mit Bedacht verfolgen. Man werde nicht voreilig eine erneute Gesetzesrevision anstossen. Aber es brauche Antworten auf Fragen, was die Religionsvielfalt für die Bildung, die Schulen, für die Finanzen, für die Seelsorge bedeute. Es gebe neu einen jährlichen Bericht, wie der Regierungsrat den Entwicklungen im Religionsbereich begegnen solle. «Wie sieht die Religionslandschaft aus, welche Herausforderungen stehen an, wo sind die Konfliktlinien?»
«Es gibt nun eine behutsame Entflechtung zwischen Kirchen und Kanton Bern, keine Trennung», so die Kirchendirektorin weiter. Es sei gleichwohl ein Meilenstein. «Das Verhältnis war über Jahrhunderte sehr eng.» Das Gemeinsame gehe nicht verloren, «da wächst etwas weiter». Die Politik ziehe sich etwas zurück. Das enge Verhältnis werde finanziell aber weitergeführt. Jährlich bekomme die ev.-ref. Kirche 60, die röm.-kath. Kirche 12 Millionen Franken, für die christkatholische Kirche seien 470'000 Franken vorgesehen, und auch das Gehalt des Rabbiners werde weiterhin vom Kanton bezahlt.
Über die Verwendung dieser Gelder müssen die Kirchen in sechs Jahren Rechenschaft geben, dann wird die Verteilung neu beurteilt. Die Kirchendirektorin betonte nun, dass diese Rechenschaftsberichte der Landeskirchen für die Politik entscheidend seien, damit «die finanziellen Beiträge politisch unbestritten bleiben». Es werde dafür einen Leitfaden geben.
Dem Kanton seien die Kirchen dieses Geld aus zwei Gründen wert. Als ersten Grund nannte Evi Allemann die historische Verpflichtung des Kantons. Als Napoleon den bernischen Staatsschatz gestohlen hatte, suchten die Berner Behörden neue Geldgeber. Sie fanden diese bei der Kirche, insbesondere bei deren Pfründen. Diese wurden Staatsbesitz. Im Gegenzug verpflichteten sich die Behörden, künftig die Löhne der Pfarrer zu bezahlen. Daran wolle sich der Regierungsrat auch heute noch halten, so Evi Allemann. «Tradition und Geschichte des Staates Bern ist dem Regierungsrat bewusst und wichtig. Wir arbeiten nicht darauf hin, geschichtsblind zu werden.»
Der zweite Grund, wieso der Kanton den Kirchen Geld geben würde, seien die gesamtgesellschaftlichen Leistungen der Kirchen. Leistungen, die dem Gemeinwohl dienen würden. Für die Regierungsrätin ist dabei wichtig: «In den Genuss kommen alle, nicht nur die Mitglieder. Man muss keinen Mitgliederausweis vorweisen. Angebote zu Ehe, Familie, Partnerschaft, im Sozial- und Bildungsbereich. Diese Angebote haben für den Kanton einen Wert. Sie verbinden die Menschen zu einer offenen, solidarischen Gemeinschaft, die einander hilft.» Eine Gesellschaft, so Evi Allemann, die sich laufend weiterentwickle.
Andreas Krummenacher