Altern in Würde? Der Verlust der Unabhängigkeit löst Ängste aus. Nicht diese walten zu lassen, sondern das Altern als Chance zu sehen, ist auch Teil der Würde, sagt Maren Galbrecht, Sozialgerontologin in Bern. Wie sie diese Chance versteht, erklärt sie im Interview. Bild: Selfie mit Enkel Foto: Keystone, Uwe Umstaetter, Westend61

Altern in Würde?

06.04.2016

Eine Tagung in der Berner Fachhochschule setzt sich am 21. April mit der Frage «Altern in Würde?» auseinander.

Eine Tagung in der Berner Fachhochschule setzt sich am 21. April mit der Frage «Altern in Würde?» auseinander. Die reformierten und katholischen Landeskirchen bieten die Veranstaltung gemeinsam mit dem Institut Alter der Berner Fachhochschule an. Maren Galbrecht, Sozialgerontologin und Mitarbeiterin der Fachstelle für Sozialarbeit der katholischen Kirche Region Bern, arbeitet an der Tagung mit. sie erklärt im Gespräch, was es mit dem Begriff würde auf sich hat:

«pfarrblatt»: Die Tagung titelt «Altern in Würde?» Warum das Fragezeichen?
Maren Galbrecht: Stellen wir hier nicht einen hohen Anspruch an uns und die Gesellschaft? Was meinen wir, wenn wir von Würde sprechen und was heisst Würde für ältere Menschen. Wie ermöglichen wir Menschen im Alter ein würdiges Leben? Mit der Tagung wollen wir beruflich und freiwillig mit alten Menschen Tätige sowie Entscheidungsträger ansprechen und mit ihnen über diese Fragen nachdenken. Deshalb das Fragezeichen.

Was beinhaltet der Begriff Würde?
In unserer Leistungsgesellschaft ist die Selbstbestimmung ein sehr hoher Wert. Der Mensch definiert sich stark über Leistung. Wenn er im Alter durch körperliche und kognitive Einschränkungen verletzlicher wird, abhängig wird, was dann? Würde bedeutet in diesem Fall, dass der fragile Mensch zum Beispiel in allem seine Selbstbestimmung weitmöglichst behält, sie respektiert wird und er auf die Solidarität der anderen zählen darf. Der Verlust der Unabhängigkeit löst Ängste aus. Nicht diese walten zu lassen, sondern das Altern als Chance zu sehen, ist auch ein Teil der Würde.

Wie kann das Altern als Chance wahrgenommen werden in einer Gesellschaft, die sich mehrheitlich über Leistung orientiert und nicht mehr Leistungsfähige sozialen Institutionen überlässt?
Indem sie nicht nur das Defizitäre im Blick hat, die Verletzlichkeit, den Verlust von Eigenständigkeit, sondern über die Würde, die sie den alten Menschen zuspricht, die eigene Würde findet. Damit kann die Gesellschaft auch ihr Leistungsprinzip hinterfragen. Leisten zu können ist zwar ein hoher Wert, aber auch eine Bürde. Im Dialog mit alten Menschen wird spürbar, wie wichtig Zeit für Beziehungen oder Ruhepausen schon im Berufsleben ist. Diese Werte zu erkennen, dabei können uns alte Menschen helfen.

Sie haben Pfarreien und Kirchgemeinden besucht. Was leisten diese, um der Würde im Alter zum Durchbruch zu verhelfen?
In Pfarreien und Kirchgemeinden gibt es Bewusstsein und viel Potenzial für diese Aufgabe. Die Kirche hat zudem ein breites theologisches Vokabular zum Thema Würde. Nun verändert sich aber der Charakter des Alters. Im sogenannten 3. Alter, ab Pensionierung bis ca. 80, kommen Menschen in Pension, die neue Bedürfnisse haben, eher gewohnt sind, Freiräume, die man ihnen anbietet, zu füllen und selber zu gestalten, als dass sie feste Angebote in Anspruch nehmen. Die Kirchen denken hier tendenziell noch traditionell diakonisch, also für Menschen, statt mit den Menschen. Hier sind wir gefordert, neue Wege zu gehen. Deshalb spricht die Tagung auch Entscheidungsträger wie Pfarreileitungen oder Kirchgemeinderäte an.

Was kann jede und jeder selber dazu beitragen, in Würde leben zu können bis ins hohe Alter?
Sich immer wieder die Zeit nehmen, sich mit seiner Endlichkeit auseinanderzusetzen, Gelassenheit üben, Altersbilder der Gesellschaft hinterfragen, immer wieder freie Räume schaffen, in denen nicht die Leistung zählt, sondern das eigene Menschsein. Dabei hilft die Begegnung mit alten Menschen, das Zeitnehmen, ihnen zuzuhören. Gerade in dieser Begegnung finde ich Einsichten, die mir helfen, die Würde meines Gegenübers und meine eigene mir selbst bewusst zu machen.

Wir kennen mittlerweile Mutter- und Vaterschaftsurlaube. Sollte man nicht auch arbeitsrechtliche Freitage für die Betreuung ins Alter gekommener Angehöriger ermöglichen?
Diese Diskussion läuft. Über das Anerkennen der Würde des Alters und konkreter Umsetzungen können Freiräume für neue Modelle der Solidarität mit den alten Menschen diskutiert und gefunden werden.

Wie gehen Sie persönlich mit ihrem Altern um?
Neben dem ständigen Umgang mit dem Thema in meiner Arbeit als Sozialgerontologin versuche ich in meinem privaten Leben weniger zu planen. Ich versuche, im Moment zu leben und anzunehmen, was grad so kommt. Das nehme ich aus vielen Begegnungen mit altgewordenen Menschen mit.

Interview: jm

Mehr Informationen zur Tagung finden Sie im Pfarrblatttipp dieser Woche
Link zur Website von refbejuso