Glückliche Kinder sind für «Teddybär» Vitaliy Shehera das Wichtigste. Foto: Ruben Sprich
Am Karussell statt im Krieg
«Bellis Mini-Freizeitpark» bietet einer ukrainischen Familie Schutz und Arbeit
Statt nach Ablauf seines Arbeitsvisums in die Ukraine heimzukehren, findet der Kinderanimator Vitaliy Shehera mit seiner Familie Schutz und Arbeit in «Bellis Mini-Freizeitpark» in Roggwil BE. Ein Besuch vor Ort.
Von Anouk Hiedl
«Oma, Opa, wir wünschen uns einen Spielplatz!» Kein Problem für Daniel und Rose Gasser-Belli. Die beiden stammen aus Zirkusdynastien. Flugs zückten sie den Zauberstab und schüttelten – Abrakadabra, Simsalabim! – «Bellis Mini-Freizeitpark» aus dem Ärmel. Seit 2014 bringen dort Schiffschaukeln, ein Speed-Karussell, ein Streichelzoo und weitere Attraktionen Kinderaugen zum Leuchten.
Ihren Mini-Freizeitpark haben Gasser-Bellis auf dem ehemaligen Zirkuswinterquartier der Familie in Roggwil BE hingezaubert, gemäss Daniel Gasser-Belli der «Bellevueplatz der Schweiz». Von allen grösseren Deutschschweizer Städten aus ist man mit dem Auto in weniger als einer Stunde da. Der Park liegt etwas versteckt im Grünen, von Strassenlärm keine Spur. «Vorher waren hier nur Brennesseln und Disteln», erzählt Daniel Gasser-Belli. Auf den Wunsch der Enkel hin schwebte der Familie ein Mini-Europapark vor, mit Fahrgeschäften ohne Altersbeschränkung. «Hier können alle überall drauf», erläutert er die Philosophie des Parks.
«Im Zirkus ist es wie in der Kirche»
«Wir haben keine Stars oder Arbeiter, wir sind alle Mitarbeiter. Bei uns hängt alles zusammen. Wir funktionieren nur miteinander, im Zirkus und in der Familie. Das ist wie in der Kirche», sagt Daniel Gasser-Belli. Die Zirkusfamilie hat ihr Team, auch die Musiker:innen und Artist:innen fürs jährliche Weihnachtsvariété, über Jahrzehnte hinweg aufgebaut. «Wenn wir zusammenpassen, fragen wir unsere Leute jedes Jahr wieder an, und sie kommen immer wieder.»
Vor zehn Jahren hat Daniel Gasser-Belli den ukrainischen Kinderanimator Vitaliy Shehera im Circus Royal seines Bruders kennengelernt und ihn für die Mitarbeit in «Bellis Mini-Freizeitpark» angefragt. Seither sorgt Vitaliy hier für die Tiere, bringt ihnen Kunststücke bei und schaut, dass es den kleinen Gästen gut geht.» Auf die Frage, was er am liebsten tue, leuchtet Vitaliys Gesicht auf: «Alles mit Kindern! Das Karussell, die Geburtstagsfeiern, die Ponys – alles, was Glück für sie ist…» Spätestens jetzt wird klar, warum Vitaliy hier von allen «Teddybär» genannt wird.
Keine Rückkehr in die Ukraine
Ende März wäre Vitaliy Sheheras Arbeitsvisum abgelaufen. Für die Zirkusfamilie war klar: «Wir schicken Teddybär nicht zurück in den Krieg.» Daniel Gasser-Belli begleitete ihn nach Bern, um beim Staatssekretariat für Migration den Schutzstatus S für ihn, seine Schwester Ludmilla und ihre beiden Söhne zu beantragen. «Seine Eltern wollen in der Ukraine bleiben. Da der Kanton Bern bereits voll sei, wollten sie Teddybär und seine Familie in den Kanton Freiburg versetzen», erzählt Daniel Gasser-Belli. Er legte den Behörden die Situation dar und hielt fest, dass sich «Menschen integrieren, wenn sie sich wohl fühlen.» Seit April arbeitet Ludmilla im Mini-Freizeitpark mit und wohnt mit Taras, 10, und Dima, 5, in einem Zirkuswagen. Der Spielplatz steht gleich vor der Tür – mit Hüpfburg, Pferdekoppel und Zirkuszelt.
Erst Corona, jetzt Krieg: Im Umgang mit den aktuellen Krisen beobachtet Circus-, Schausteller- und Markthändlerpfarrer Adrian Bolzern einen grossen Zusammenhalt unter den Zirkusleuten. «Fast alle haben ukrainische Artist:innen bzw. Mitarbeitende aufgenommen.» Im Europapark in Rust sind rund 100 russische und 40 ukrainische Mitarbeitende tätig. «Nach Kriegsbeginn trommelte man alle zusammen und sagte ihnen, sie müssten diesen Krieg zu Hause lassen. Hier sei man in Deutschland und arbeite zusammen», berichtet Adrian Bolzern.
Letzten Frühling haben Schweizer Zirkusse, Zoos und Variétés gemeinsam mit dem Schweizerischen Roten Kreuz die Spendenaktion «Wir alle zusammen» für die Ukraine lanciert. Danke auch für Ihre Unterstützung!