Der russisch-orthodoxe Priester Ioann Ciurin während der Weihnachtsmesse am 7. Januar in Bern. Foto: Pia Neuenschwander
«An Weihnachten singt die Seele»
Wir haben Hannah Einhaus auf die Suche nach «den Orthodoxen» durch Bern geschickt, ein Orientierungslauf.
Am 6. und 7. Januar feiern die meisten orthodoxen Kirchen Weihnachten. Wir sprachen mit den Geistlichen der Gemeinden im Raum Bern, um mehr über die Lehre, die Rituale in den Gottesdiensten und die privaten Traditionen zu erfahren.
Autorin: Hannah Einhaus
Eine fixfertige Liste aller orthodoxen Gemeinden in der Region Bern existiert nicht, da helfen nur detektivische Methoden. Gelegentlich hilft Google weiter, doch im Wesentlichen erfolgt die Suche nach den Gemeinschaften durch Anfragen bei vernetzten katholischen und reformierten Pfarreien. Bei der Tour durch die Region Bern ist das «pfarrblatt» schliesslich auf Gemeinden aus sieben Ländern gestossen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind dies Serbien, Rumänien, Russland, die Ukraine, Griechenland, Äthiopien und Eritrea.
Eigene Kirchen haben die Serben in Belp und die Rumänen in der Tiefenau, alle anderen halten ihre Gottesdienste in Räumen der Landeskirchen ab. Nicht alle orientieren sich am julianischen Kalender, und nicht alle feiern die Geburt Christi am 6./7. Januar: Die Griechen und die Rumänen beispielsweise verwenden den gregorianischen Kalender mit Weihnachten am 24./25. Dezember.
Heiligabend: der letzte von 40 Fastentagen
Die Reise in die Welt der orthodoxen Weihnacht beginnt mit dem Abstieg ins Kellergewölbe der lutheranischen Kirche in der Postgasse der Berner Altstadt. Die russisch-orthodoxe Gemeinde hat dort den kargen, weiss bemalten Mauern mit Ikonen an den Wänden Leben eingehaucht. Einrichtungen aus Holz, glänzende Lampen und angezündete Kerzen sorgen für Wärme. Eine mit Ikonen bemalte Wand – die Ikonostase – grenzt den Teil des Altars vom Gebetsraum ab.
Priester Ioann Ciurin trägt wie alle Orthodoxen zum Fest des Lichts und der Freude ein weisses Gewand. Im Kern ist die weihnachtliche Botschaft der Orthodoxie dieselbe wie in anderen Kirchen, doch Priester Ciurin bringt die Geburt Christi bildhaft auf den Punkt: «Gott wird Mensch, damit der Mensch Gott werde.» Auch habe Jesus das Reich Gottes verlassen und sei arm geworden, «damit der Mensch spirituell reich werde».
Alle Orthodoxen von Moskau bis Addis Abeba legen vor Weihnachten 40 Fastentage ein. Fleisch, Milchprodukte und Eier sind tabu. Das gilt auch für die Diasporagemeinden im Raum Bern. «Wir wollen diesem Kind nicht mit vollem Bauch begegnen», schildert Ciurin. Dieser Verzicht fördere die Vorfreude auf die Ankunft Christi. «An Heiligabend und Weihnachten singt dann die Seele.» Das Fest verbreite Licht und sei ein Ausdruck der Liebe und des Friedens. «Diese Zufriedenheit soll bleiben.» Ciurin betont das Wörtchen «bleiben».
Versöhnungstag für die Äthiopier
Die Tour durch Bern führt zu sechs Gemeinschaften. Frieden hat bei der äthiopischen Gemeinde in Gümligen einen hohen Stellenwert: Wer Frieden mit Gott haben will, muss sich auch mit seinem Nächsten aussöhnen. «Nach der Feier am 7. Januar bitten sich un sere sere Mitglieder gegenseitig um Entschuldigung», erklärt Erzpriester Abebaw Adane. Der Weihnachtsgottesdienst, an dem alle Betenden von Kopf bis Fuss weiss gekleidet sind, beginnt an Heiligabend um 22.00 und dauert in den Morgen bis etwa 04.00 Uhr. Das anschliessende gemeinsame Essen mit Fleisch beendet die lange Fastenzeit.
In den Morgenstunden kehren die Gläubigen nach Hause zurück, wo in vielen Stuben kleine Statuen von Maria, Josef und der Krippe aufgestellt sind. Tannenbäume haben im afrikanischen Äthiopien keine Tradition. Am späteren 7. Januar besuchen sich Verwandte und Bekannte privat. Neben dem Fladenbrot Injera, Eiern und Gemüse duftet das Fleisch von Kalb, Geflügel oder Lamm; tabu hingegen ist Schweinefleisch. Da mit unerwartetem Besuch zu rechnen ist, kochen die Frauen mehr als genug. Dieselben Riten feiern im Wesentlichen auch die äthiopische Gemeinde im Haus der Religionen am Berner Europaplatz und die eritreische in der christkatholischen Kirche St. Peter und Paul in der Rathausgasse.
Tannenbäume statt Sternenumzüge und eine Vesper
Die orthodoxen Gemeinden aus Osteuropa und Griechenland teilen die hiesige Tradition des Weihnachtsbaums als Ausdruck des Lichts. Allerdings sind dies teilweise Kompromisse, weil Anderes hier nicht praktizierbar ist. «In der Ukraine ziehen Kinder an Heiligabend durch die Dörfer oder Quartiere. Einige halten leuchtende Sterne hoch, die an einem Stiel befestigt sind», erklärt die Ukrainerin Lyudmyla Zuber in einem Raum der Dreifaltigkeitskirche. «Sie ziehen von Haus zu Haus, singen Lieder und erhalten Süssigkeiten.»
Diese Tradition kennen auch die Griechen und Rumänen, doch hier in der Diaspora leben die Gemeindemitglieder zu weit auseinander, um von Tür zu Tür zu ziehen. An Heiligabend beginnen alle europäischen Gemeinschaften den Gottesdienst mit einer Vesper, an der nur sehr wenig gegessen wird. Sie sei bescheiden, aber feierlich und ein Ausdruck tiefer Freude, erklärt Pastoralassistent Adrian Anca von der rumänisch-orthodoxen Gemeinde St. Georg in der Tiefenau.
Heiligabend beginnt dort nach dem Motto «Klein, aber süss»: «Wir essen Nüsse mit Honig», schildert Anca, «oder aber einen Strudel, den wir die Windeln Jesu nennen.» Dieser symbolisiere die Solidarität mit der Gottesmutter, die für die Geburt Jesu nur Platz in einem Stall gefunden habe. Das «heilige Mahl», das laut Wikipedia am orthodoxen Heiligabend eingenommen wird, bestätigt nur die Ukrainerin Lyudmyla Zuber. «Zwölf fleischlose Gerichte werden aufgetischt, jedes für einen Apostel».
Tanz um den «Baum des Lebens»
Die Gottesdienste nach Heiligabend beginnen unterschiedlich: Wie die Äthiopier feiern auch die Russen nach 22.00 die halbe Nacht hindurch. Die Serben in Belp beginnen um vier Uhr in der Nacht und nehmen danach ein gemeinsames Frühstück ein. Die Rumänen versammeln sich am Morgen und beenden danach das Fasten bei einer gemeinsamen Mahlzeit.
Ihr Kirchenraum in der ehemals katholischen Kirche Heiligkreuz unterscheidet sich von den anderen orthodoxen Einrichtungen: Die Ikonostase ist kein abgeschlossener Raum für den Priester. Vielmehr wird die Abgrenzung zum Priester durch eine Reihe von Ikonen am Altar symbolisiert. Anca zeigt sich dankbar, dass die rumänische Gemeinschaft infolge der katholischen Unterstützung erstmals Weihnachten in der eigenen Kirche feiern konnte.
Die griechische und die ukrainische Gemeinde verzichten aus praktischen Gründen auf einen Gottesdienst am Weihnachtstag, treffen sich aber spätabends zu einem Mitternachtsgottesdienst. Eine feierliche Versammlung um den Weihnachtsbaum kennt die russische Gemeinde. In den Morgenstun des 7. Januar tanzen Kinder und Erwachsene um den «Baum des Lebens», wie ihn Priester Ciurin bezeichnet. Um die Freude über die Ankunft Christi zu bestärken, werden nun auch kleine Geschenke an die Kinder verteilt.
Wieder zu Hause, feiern die Orthodoxen hierzulande im grösseren Familien- und Freundeskreis. Während Schweinefleisch bei den Äthiopiern tabu ist, steht es auf der weihnachtlichen Speisekarte der Osteuropäer und Griechen auf Platz eins. Und da jederzeit mit unerwartetem Besuch zu rechnen ist, sagt Lyudmyla Zuber lachend: «Wir kochen für eine halbe Armee.»
Die Ukrainer feiern Heiligabend und das Ende der Fastenzeit mit zwölf fleischlosen Gerichten – eines für jeden Apostel. Das wichtigste heisst Kutja und besteht aus gekochtem Weizen mit Mohn, Rosinen, Honig und Nüssen. Dazu kommen Karpfen, Pilzgerichte, Borschtsch und vieles mehr. Der Weizen ist das wichtigste Nahrungsmittel des Landes, und so symbolisiert ein Weizenbündel an Weihnachten den Dank für die Ernte sowie für Gesundheit, Reichtum und Wohlergehen.