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Angedacht

19.10.2023

Kolumne aus der Inselspitalseelsorge

Blaue Stunde, eine besondere Zeit, keine Stunde lang, nur eine Weile, viel- leicht nur einen Augenblick. Wenn der Tag zurücktritt und die Nacht herauf- zieht. Es ist die Stunde der Dichter:

Kennst du sie, die blaue Stunde, zwischen Tag und Traum?
Wo Gedanken sich verbinden losgelöst von Zeit und Raum?

(Raina Jeschke, 2006)

Blaue Stunde im Spital, so anders als am Meer oder auf dem Berg oder mit dem Blick aus dem Fenster zu Hause. Blaue Stunde zwischen Tag und Traum: Der Tag war lang, welcher Tag ist heute eigentlich?! Und was war heute alles? Warten: Es gibt welche, die vor mir die Ärzte oder die Pflege brauchen, ja. Aber meine Not ist auch meine Not, sonst wäre ich nicht hier! Untersuchungen: Wie lerne ich aus den Gesichtern zu lesen, was los ist? Und dann die Diagnosen: Habe ich alles verstanden, was zu mir gesagt wurde? Will ich alles verstehen? Die wissen schon, was sie tun werden ... denke ich doch mal. Behandlungen: Alle sechs Stunden wird ein neues Medikament angehängt; heute ein anderes Gesicht als gestern, aber es ist freundlich. Tropfen tropfen verlässlich durch das Schauglas. Lichter leuchten grün, es piept mal nicht, wie gut.

Am Nachmittag, Besuchszeit: Mitgebrachtes wird ausgebreitet, ein Buch, dunkle Schokolade, das Bild, von der Enkelin gemalt. Die Suche nach Worten: «Wie geht’s ...» – «Hast Du schon ...» – «Denk’ dran, ich hab’ es da schon hingelegt.» – «Morgen komme ich wieder.» – «Mach’s gut» – «Du auch.» Was ist gut? Bald kommt die Dunkelheit. Irgendwann wird es auch auf dem Flur ruhiger, sogar im Zimmer still, eine Weile. Wann kommt der Schlaf in dieser Nacht? Nachtgedanken, Liedzeilen, Worte, von weit her erinnert:

Ich bring dich durch die Nacht Ich bringe Dich von Luv nach Lee

(Reinhard Mey)

Schlaflieder, selbstgesungen – wer und was bringt mich durch diese Nacht? Die Nachtpflege, verlässlich, wenn ich klingele, wird sie kommen – wie gut! So oder so ähnlich klingt es immer wieder allenthalben, allerorts, wie ein Psalm für diese Nacht. Seit Menschengedenken:

Bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.

Isabella Skuljan, Seelsorgerin im Inselspital

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