Demo gegen die Schwarzenbach-Überfremdungsinitiative in Bern, 24. Mai 1970. Foto: Keystone/Joe Widmer
Angst vor dem Fremden
Vor 50 Jahren polarisierte die Schwarzenbach-Initiative die Schweizer Gesellschaft – ein historischer Rückblick.
Vor 50 Jahren bediente sich die Schwarzenbach-Initiative der fremdenfeindlichen Stimmung im Land und polarisierte die Schweizer Gesellschaft. Ein historisch fundierter Rückblick.
Von Prof. Kristina Schulz, Institut für Geschichte, Universität Neuenburg
Die Wellen schlagen hoch, wenn es in der Schweiz der Hochkonjunktur um Zuwanderung geht. Ein Abkommen mit Italien kündigt 1965 eine Öffnung der stark auf sich selbst bezogenen Alpenrepublik an: Die Eidgenossenschaft gibt dem Druck internationaler Entwicklungen, wirtschaftlicher Notwendigkeiten und humanitärer Erwägungen nach. Gleichzeitig lassen sich Stimmen vernehmen, welche die Grenzen der Aufnahmefähigkeit des Landes betonen. Ausländer*innen werden als Bedrohung für die Schweizer Kultur und Werte wahrgenommen.
Die Vorschläge zur Lösung des «Ausländerproblems» reichen von strikter Einwanderungsbegrenzung bis zu liberalen Vorstellungen von gegenseitiger Annäherung oder der Wertschätzung von Vielfalt. «Überfremdung», als Begriff bereits um die Wende zum 20. Jahrhundert geprägt, wird in diesen Jahren zur politischen Kampfparole.
Politisch organisierte Fremdenfeindlichkeit
Um die Entstehung fremdenfeindlicher Gedanken und Bewegungen zu verstehen, muss man sich das schnelle Wachstum der ausländischen Wohnbevölkerung vor Augen führen (1960: 10,8 %, 1970: 17,2 %). In manchen Branchen – etwa der Bauindustrie oder der Hotellerie – kommt während des Wirtschaftsbooms jeder dritte Angestellte aus dem Ausland. Auch die Vielfalt der ausländischen Wohnbevölkerung nimmt zu. Noch 1950 stammen 90 Prozent der anwesenden Ausländer*innen aus nur vier Ländern (Italien, BRD, Frankreich, Österreich). 1970 stammt nur noch jede siebte Person aus den deutschsprachigen Ländern, die vor allem in der Deutschschweiz als enge Nachbar*innen angesehen werden, umso mehr Immigrant*innen kommen aus Südeuropa.
Viele Schweizer Zeitgenoss*innen fühlen sich mit dieser ungewohnten Vielfalt überfordert. Umweltverschmutzung, Angst vor Überbevölkerung und der Kalte Krieg verunsichern die Menschen. Vor diesem Hintergrund wird die Schweiz zur Pionierin der politisch organisierten Fremdenfeindlichkeit. Der wichtigste Anker dieser Bewegung ist die Nationale Aktion. Dieser zunächst lockere Kreis um den Zürcher Isolationisten Fritz Meier gründet 1963 eine politische Partei, zunächst ohne grossen Erfolg. Aber im Laufe der 1960er Jahre, begleitet von einer scharfen Polemik gegen die «Südländer», entstehen andere lokale Gruppierungen mit ähnlichen Zielen: Unabhängigkeit der Schweiz, Verringerung des Ausländeranteils, Rückbesinnung auf vermeintliche Schweizer Werte.
Foto: Ansteckknopf gegen die Überfremdungsinitiative von James Schwarzenbach, 1970. Foto: Schweizerisches Sozialarchiv.
Im Zentrum dieses Milieus steht James Schwarzenbach (1911–1994), Sohn eines Zürcher Industriellen, Schüler des Antimodernisten und fundamentalistischen Katholiken Gonzague de Reynolds. Schwarzenbach tritt 1933 zum Katholizismus über und orientiert sich am Gedankengut einer inwärts gerichteten, antidemokratischen und autoritären «Geistigen Landesverteidigung», wie sie etwa der 1934 zum Bundesrat gewählte, katholisch-korporatistischen Kreisen nahestehende Philipp Etter vertrat. Schwarzenbach fand mit seiner Sympathie für die faschistischen Diktaturen in Italien und Portugal in diesem Milieu wohl eine geistige Heimat und nabelte sich zugleich von seiner freisinnigen Verwandtschaft ab. 1967 in den Nationalrat gewählt, ist er die treibende Kraft einer Volksinitiative, die eine drastische Begrenzung des Ausländeranteils vorsieht. Wäre die sogenannte «Schwarzenbach-Initiative» erfolgreich gewesen, hätte ein Drittel der ausländischen Arbeitskräfte die Schweiz verlassen müssen, und ganze Wirtschaftszweige wären zusammengebrochen.
Bewegter Abstimmungskampf
Die Kampagne polarisiert die Gesellschaft. Die Befürworter*innen der Initiative kommen aus sehr unterschiedlichen sozialen Schichten: Arbeiter*innen – und mit ihnen ein Teil der Gewerkschaften – die sich vor Lohndumping und Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt fürchten, ein Teil des Kleinbürgertums, das sich wegen steigender Mieten und Wohnungsnot ängstigt, aber auch rassistische Vorurteile hat, sowie das ländliche konservative Bürgertum. Widerstand kommt aus den liberalen Kreisen der wirtschaftlichen Elite des Landes, grösstenteils Arbeitgeber ausländischer Arbeitskräfte. Sie nutzen den Lohndruck aus und können, indem sie billige Arbeitskräfte beschäftigen, teure Investitionen hinauszögern, etwa in effizientere Maschinen.
Humanitäre Gründe werden vor allem von Migrant*innenorganisationen und den Kirchen angebracht. Der Bundesrat fürchtet in einem zunehmend internationalisierten Umfeld um den guten Ruf des Landes. Am 7. Juni 1970 gehen drei Viertel der Wählerschaft – Frauen nehmen damals noch nicht an den Wahlen teil – an die Urne, um über Schwarzenbachs Überfremdungsinitiative abzustimmen. Mit einer Mehrheit von 54 Prozent fällt der Vorschlag zur Änderung der Bundesverfassung durch. Das knappe Ergebnis werten einige dennoch als starkes Signal für eine restriktive Ausländerpolitik. Das Thema bleibt während der gesamten 1970er Jahre virulent, selbst als der Ausländer*innenanteil mit der Wirtschaftskrise Mitte der 1970er Jahre stark zurückgeht. Ende der 1980er Jahre kehrt die Debatte in neuem Gewand zurück: Diesmal richtet sie sich an Asylsuchende. Trotz des Engagements vieler, nicht zuletzt kirchlicher Kreise, beschäftigen uns fremdenfeindliche Vorstösse bis heute.
Zum Weiterlesen:
Tapfer und tüchtig: die «Tschinggen» von damals Vor 50 Jahren. Vier Zeitzeug*innen erzählen.
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Gemeinsamer Aufruf der Kirchen gegen die Schwarzenbach-Überfremdungsinitiative aus dem «pfarrblatt» Nr. 20, 15. Mai 1970:
Die Kirchen können nicht schweigen
Stellungnahme der drei Landeskichen
Die Spitzen der drei Landeskirchen der Schweiz haben unter dem Titel «Die Kirchen können nicht schweigen» folgende Erklärung zur Initiative Schwarzenbach erlassen:
Die Kirchen können nicht schweigen zum Volksbegehren gegen die Überfremdung. Danach müssten tausende ausländischer Arbeitnehmer und ihre Familien in kurzer Zeit ihren Arbeits- und Wohnort bei uns verlassen und nach Hause geschickt werden, wo sie vielfach keine entpsrechende Arbeit finden. Zudem droht die Gefahr von starken Arbeitseinschränkungen in Industrie und Gewerbe, so dass auch viele Schweizer ihren angestammten Arbeitsplatz verlieren könnten. Das friedliche Zusammenleben und Zusammenwirken verschiedener Volksgruppen wäre in Frage gestellt.
Das sind Gründe genug für die Kirchen, ein Wort zur Initiative und zum Ausländerproblem zu sagen. Es kann dabei nicht verschwiegen werden, dass wirtschaftliche und politische Fehlentscheidungen die heutigen Schwierigkeiten wesentlich mitbestimmten. Zu einseitig war bei manchen Unternehmen die Geschäftspolitik nur auf Umsatzsteigerung ausgerichtet. Das hat zu einer übermässigen Nachfrage nach Arbeitskräften geführt.
Dem stürmischen Wirtschaftswachstum vermochten leider die Planung der Einwanderung und die Eingliederungspolitik nicht zu folgen. Für diese Versäumnisse müssen wir Schweizer die Verantwortung tragen. Es ist nicht angängig, die ausländische Bevölkerung dafür zahlen zu lassen.
Die Kirchen dürfen vor allem deshalb nicht schweigen, weil die von der Initiative angestrebte Lösung ihrem Auftrag widerspricht. Die ausländischen Arbeitnehmer sind keine blosse Reservearmee, die man nach Bedarf oder Belieben einsetzt und wieder entlässt. Brüder setzt man nicht vor die Tür.
Die Kirchen wissen um die Belastungen, die sich aus dem engen Zusammenleben und Zusammenwirken der verschiedenartigen Volksgruppen ergeben. Trotzdem bitten sie jeden, seine Abneigung zu überwinden, auch wenn sie aus bitteren Erfahrungen erwachsen ist. Im Glauben an Jesus Christus haben wir den Auftrag, den Boden zu bereiten, aus dem Menschen verschiedener Herkunft eine Gemeinschaft bilden können. Nur so wird es möglich sein, eine unsachliche und unmenschliche Entscheidung zu vermeiden.
Die einheimische Bevölkerung und die ausländischen Arbeitskräfte sind aufeinander angewiesen. Durch den Beschluss, den der Bundesrat kürzlich gefasst hat, wird die Zahl der ansässigen Ausländer zwar stabilisiert. Damit sind aber die Schwierigkeiten des Zusammenlebens nicht nicht gelöst. Sie werden nur dadurch bewältigt dass jene Ausländer, die bei uns bleiben wollen schrittweise in unser gesellschaftliches, politisches und kirchliches Leben eingegliedert werden. Die Kirchen unseres Landes sind bereit, dabei mitzuwirken.
Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund
Für den Vorstand
A. Lavanchy, Präsident
Römisch-katholische Kirche der Schweiz
Für die Schweizer Bischofskonferenz
J. Vonderach, Bischof von Chur
Christkatholische Kirche der Schweiz
U. Kuery, Bischof