Kreuz am Wege nach Volterra, aus: Walter Läubli. Sonnenland Toskana, Umbrien, Büchergilde Gutenberg Zürich 1961.
Arma Christi: Die Folter am Kreuz
Gekreuzigte Folterwerkzeuge: ein Sinnbild für den «armen Christus».
Im Walliser Dorf Grimentz steht ein altes, verwittertes Kreuz. Die Hauptperson fehlt. Sie wurde jedoch nicht einfach entfernt und ist auch nicht in Restauration. Diese Absenz ist Absicht. Stattdessen sind die Folterwerkzeuge gekreuzigt.
Von Sandro Fischli
Am Wegrand von Grimentz steht da, wo die Strasse in den Wald Richtung Moiry-Stausee einbiegt, ein Kreuz. Ohne Gekreuzigten. Die INRI-Inschrift ist am richtigen Ort, zuoberst des Längsbalkens. Am Querbalken rechts ist ein Hammer und links ein grosser stilisierter Nagel, ein Pfriem, angenagelt. In der Mitte, wo sich die Balken kreuzen, sind drei Pfeile angenagelt.
Symbole für die Wunden in den beiden Händen und den übereinandergelegten Füssen? Symbole für die drei Kreuze, die Hauptperson inmitten seiner zwei Leidensgefährten? Symbolisierte Lanzen? Die Absenz des Gemarterten und die Sichtbarkeit der Folterwerkzeuge evozieren das Grauen stärker als jede Darstellung.
Später stosse ich in einem antiquarischen Fotoband über die Toskana und Umbrien auf obiges Bild. Das provokative Kreuz in Grimentz scheint kein Einzelfall zu sein, da scheint eine kunsthistorische Tradition zu bestehen – die Recherche verweist dann auf die sogenannten Arma-Christi-Kreuze. Diese gab es als Fresken auch schon im Mittelalter, als Kruzifixe kamen sie dann in der barocken Gegenreformation vor allem im süddeutschen Raum, in Österreich, im Südtirol, in der Innerschweiz, in Frankreich, im Rheinland und im hintersten Winkel des Val d’Anniviers.
Passion in Bildern
Gezeigt werden die Leidenswerkzeuge der Kreuzigung. Das Spektrum ist breit, von dem rudimentären Grimentzer Kreuz bis zu Darstellungen mit einer Leiter für die Kreuzabnahme, Würfeln, mit denen um Jesu Gewand gespielt wurde, einem Hahn als Zeichen von Petri Verleugnung, Silberlingen oder Judas’ Geldbeutel, einer Kanne oder Wasserschüssel als Symbol der Verurteilung durch Pilatus, eine oder mehreren Lanzen als Symbol der Gefangennahme und Seitenwunde, einem Rutenbündel, Peitsche und Geisselsäule als Symbol der Geisselung und vielem mehr: eine Bildergeschichte der Passion für Analphabeten.
Die Arma-Christi-Kreuze sind gemäss Wikipedia vor allem als «Verherrlichung» des Leidenswegs entstanden. Ein zweifaches Erschrecken: Was gibt es an einer so grauenvollen Todesart zu verherrlichen? Und sind das nicht eindeutig Waffen gegen Christus statt seine eigenen Waffen – Werkzeuge, um ihn grausam leiden zu lassen? Der Kreuzestod ist ein Fundament des Glaubens, aber wie oft wurde Christi unvorstellbar qualvoller Tod (der Todeskampf am Kreuz konnte oft bis zu drei Tagen dauern) doch auch als schwärzeste Pädagogik missbraucht? Sieh, wie der Herr für dich gelitten hat, also klage nicht über dein eigenes Leiden, sei still, begehre nicht auf…
Leib und Kreuz
Die Leerstelle an diesen Kreuzen, nur mit Gegenständen, ohne Mensch, erinnert an die Leerstelle im Bild von Felix Keller Meikirch aus der Passionswoche vor einem Jahr. Das Kreuz ist eine einzige riesige Frage, ohne vorschnelle Antwort. Es durchkreuzt uns, unsere Vorstellungen, Pläne, Konzepte, das ganze Bild, das wir von uns haben. Karl Barth erwähnt in seiner Römerbrief-Auslegung immer wieder diese «Todeslinie», wo wir entblösst von aller eingebildeten, vermeintlichen oder begründeten Menschengerechtigkeit ins Leere gestellt vor Gott stehen.
In Rom ragt an der Basilica Santa Maria degli Angeli e dei Martiri ein Körper, eher ein Torso (Jesus? Jemand von uns?) aus einer Mauer, ein dem Leib eingeprägtes Kreuz, die Dornenkrone um den Hals – wie das Todeswerkzeug der spanischen Garotte. Dieses Bild ist wie ein Gegenpol zum Kreuz ohne Leib: das Kreuz auf dem Leib. Da stirbt jemand mit Jesus, so wie Jesus nicht nur für uns, sondern mit uns starb.
Mit dem Kreuzestod ist das Leiden Jesu aber noch nicht zu Ende. Er ist hinabgestiegen in das Reich der Toten (KG 31,3), um auch ihnen den Weg zum ewigen Leben zu eröffnen. Sein Leiden dauert an, er sieht nun auch das Leid der Toten. Die Zeit bis zum dritten Tag ist unvorstellbar lang und schwer. In einem eindrücklichen Bild von Jan Breughel dem Älteren von 1593 aus der Sammlung der Abegg-Stiftung, Riggisberg, wird ersichtlich, wie viel Qual Jesus dort sieht und welchen Lichtpunkt die Gequälten sehen.
Karfreitag bleibt eine Zumutung, immer wieder – ein schwer verdaulicher Brocken, dem nur schwer begegnet werden kann. Darum zum Schluss ganz kurz: Warum kann «Arma Christi» nicht einfach mit «armer Christus» übersetzt werden?