Paracelsus (um 1494 bis 1541) polarisierte mit seinen innovativen Denkansätzen. Foto: zVg
«Arschkratzer, Hodenschneider, Hudelärzte»
Paracelsus' Leben als praller Filmstoff
Paracelsus war der bekannteste Arzt zur Reformationszeit. Er eckte an, dachte neu und hinterlässt bis heute Spuren. Diesen folgt der Filmemacher Erich Langjahr zusammen mit dem Paracelsus-Biografen Pirmin Meier im Film «Paracelsus – Ein Landschaftsessay».
Von Vera Rüttimann
Zur Zeit der Renaissance übte Paracelsus (um 1494 bis 1541) auf viele Menschen eine grosse Faszination aus. Mit seinen damals neuen, ganzheitlichen medizinischen Ansätzen polarisierte der Mann, der eigentlich Theophrastus Bombastus von Hohenheim hiess. Im Film wandelt der Historiker und Paracelsus-Biograf Pirmin Meier auf den Spuren Paracelsus‘ an Orten in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich. Seine detaillierten Ausführungen sind oft unterlegt mit den melancholischen Orgelklängen und dem Off-Kommentar von Erich Langjahr. Der Zuger hat auch die stimmungsvollen Landschaftsbilder zum 108-minütigen Film beigesteuert.
Der Film führt an Orte wie Einsiedeln SZ. Hier wurde Paracelsus Ende 1493 oder Anfang 1494 geboren. Paracelsus war Zeit seines Lebens ein grosser Marienverehrer.
Einer der Protagonisten in der Doku ist Bru-der Gerold Zenoni. Der Sakristan der Einsiedler Gnadenkapelle zeigt das Kleid, was die Schwarze Madonna zu Maria Himmelfahrt am 8. August jeweils trägt. Gerold Zanoni kennt Paracelsus‘ Vorliebe für die Mutter Gottes: «Er hat über sie 1524 seine erste Schrift verfasst.»
Rätselfall Bruder Klaus
Einer der spannendsten Orte in Erich Langjahrs Film ist die Ranftschlucht OW, der Wirkungsort von Bruder Klaus. Pirmin Meier weiss: «Paracelsus sah im Eremiten Niklaus von Flüe weniger einen Heiligen, denn einen Rätselfall.»
Dieser Part im Film geht der Frage nach: Konnte von Flüh wirklich ohne Nahrung leben? Paracelsus hatte dazu seine eigene Meinung, wie Meier weiss: «Er schloss nicht aus, dass es Menschen gibt, die mit sehr wenig Nahrung auskommen. Und auch solche, die sich mit den Augen ernähren können.» So, wie es Bruder Klaus mit der Hostie getan haben soll.
Paracelcus Spuren in Basel
Ab 1527 arbeitet Paracelsus in Basel als Stadtarzt und lehrt an der Universität. Paracelsus, erfahren Kinobesuchende, sorgte in Basel für Aufruhr. Er verunglimpft Schulmediziner als «Arschkratzer, Hodenschneider, Hudelärzte».
Erich Langjahrs Film zeigt auch das Haus «Zum Vorderen Sessel». In diesem Haus, in dem es eine Badestube gab, logierten berühmte Leute. 1507 wurde das Haus durch den Buchdrucker Johann Froben übernommen. Erasmus von Rotterdam fand bei Froben von 1514 bis 1516 Unterkunft. Ein Dach über dem Kopf fand hier zwischen 1526 und 1527 auch Paracelsus, der sich dem kranken Johannes Froben annahm. Pirmin Meier sinniert in der Doku: «Paracelsus hat viele Texte über das Baden verfasst. Er sass wohl oft unten im Erdgeschoss in der Wanne, während Erasmus von Rotterdam oben im ersten Stock schrieb.»
Letzte Ruhe in Salzburg
Erich Langjahrs atmosphärisch dichter und äusserst informativer Film endet in Salzburg, wo Paracelsus 1541 starb. Er liegt auf dem Sebastiansfriedhof begraben. Sein Grab ist am Treppenaufgang neben dem Eingang zur Sebastianskirche zu finden. Es ist mit einer grossen Marmorplatte in die Wand eingelassen. Es ist die letzte Ruhestätte eines Mannes, der viele Menschen mit seinen innovativen Denkansätzen noch heute beschäftigt. So wie Erich Langjahr und Pirmin Meier.
Filmpremiere
Bern, Kino Rex: Premiere des Films «Paracelsus Ein Landschaftsessay» am 10. April um 17.00 in Anwesenheit von Erich Langjahr und Pirmin Meier, ab 14. April im Programm.
Über den Filmemacher Erich Langjahr
Erich Langjahr gehört zu den bedeutendsten Dokumentarfilmern der Schweiz – und er ist sicher ihr eigenwilligster.
Das grosse Holzhaus von Erich Langjahr steht auf einem Moränenhügel am Ende einer Quartierstrasse in Root im Kanton Luzern. Vom Balkon aus sieht man im Osten den Kirchturm von St. Martin und im Westen die Türme der Kehrrichtverbrennungsanlage in Perlen. Schaut man gerade aus, steht dort ein hölzernes Kreuz.
Die Landschaft mit ihren menschlichen Spuren ist eine wichtige Protagonistin in den Filmen von Erich Langjahr. Sein neuester Film: "Paracelsus. Ein Landschaftsessay". "Eigentlich ist es ein Film über den Paracelsus-Forscher Pirmin Meier", sagt Erich Langjahr.
Wie kein anderer hat sich Pirmin Meier sein eigenes Bild gemacht vom landfahrenden Arzt und Laien-Theologen Theophrastus von Hohenheim, genannt Paracelsus. Der Historiker kennt die fragmentarischen Quellen und die landschaftlichen Spuren des Renaissance-Gelehrten. Er nimmt die Zuschauenden mit auf seine eigensinnige, assoziative Reise, die am Fusse des Etzels im Kanton Schwyz bei der Geburtsstätte von Paracelsus beginnt.
"Mir gefallen eigensinnige Menschen, die dazu stehen, was sie denken, auch wenn es so nicht im Lehrbuch steht", sagt Erich Langjahr. "Wie Paracelsus, der die Medizin seiner Zeit kritisierte und von dem überliefert wird: 'Wer in sich selber kann bestahn, gehöre keinem anderen an'". In diesem Sinne sei auch er eigensinnig und der für seine kritische Detailwut bekannte Biograph Pirmin Meier ebenfalls, sagt Erich Langjahr.
Das Leben sei viel zu kurz, um die Spuren dieser Welt allein zu finden, tief zu schürfen und zu verstehen, was sich dahinter verberge, sagt der Filmemacher. Mit dem Protagonisten seines neuen Filmes habe er einen Menschen und über die Jahre einen Freund gefunden, der für ihn viele Spuren gefunden habe und sie einordnen könne.
"Wer bin ich? Wo komme ich her? Was hat mich geprägt? Diese Fragen motivieren mich, meine Filme zu machen", sagt Erich Langjahr. Der Zeitzeuge befragt in seinen Filmen die Traditionen auf ihren Wert für die Gegenwart und Zukunft. Es widerstrebe ihm pessimistische Bilder zu zeichnen.
Die Kritik an der modernen Welt kommt in seinen Filmen mit einer guten Prise Humor. Etwa dann, wenn Pirmin Meier sich am Sonntagabend neben einem Bildstöckli an der Kantonsstrasse vor die Kamera stellt, zu seinen Ausführungen ansetzt und nicht zu Wort kommt, weil die Autokolonne nicht abbricht.
Seine erste Kamera hat sich Erich Langjahr mit 20 Jahren gekauft. Er machte einen Kurzfilm über Justice Olson, der an der Bahnhofstrasse Flöte spielte, bis die Polizei kam und ihn mitnahm. Dass sein Protagonist mit dem Namen Justice mit der Justiz in Konflikt kam, sei ein seltsamer Zufall.
Aber an Zufälle mag Erich Langjahr nicht recht glauben. Immer deutlicher habe er in seinem Leben gespürt, dass alles mit allem verbunden sei. "Verrückt!", sagt Erich Langjahr und streicht sich seine grauen Haare zurück, "hinter allem gibt es einen grossen Plan." Wir sitzen in seinem Büro im oberen Stock des Hauses. An der Wand hängen die Plakate seiner Filme.
Filmemachen war für Erich Langjahr der Ausweg aus einer Welt, die ihn vor einen grossen Widerspruch gestellt hatte. Als Chemielaborant arbeitete er bei Dow Chemical in Horgen. Das Chemieunternehmen stellte damals Agent Orange her, das die amerikanische Armee im Vietnamkrieg eingesetzte. "Ich wollte mit meiner Arbeit einen Beitrag für eine andere Welt leisten", sagt Erich Langjahr. Er brachte sich das Fotografieren und Filmen selbst bei.
Seit gut 50 Jahren macht Erich Langjahr Filme. Seit 1987 mit seiner Frau Silvia Haselbeck, die neben der Tonarbeit in allen Phasen der Filmentstehung, der Produktion und des Verleihs beteiligt ist. "Ohne meine Frau geht das alles nicht", sagt Erich Langjahr. Sie sehe seine Bilder als erste, sie sei sein kritisches Gegenüber, seine Partnerin.
Dass er auf ein gelungenes Berufsleben zurückschauen könne, sei nicht selbstverständlich. Die Schulzeit sei ein grosser Frust für ihn gewesen, sagt Erich Langjahr. Die Lehrerin hat den linkshändigen Erstklässler dazu gezwungen mit der rechten Hand zu schreiben. Nach ein paar Jahren war der perfektionistische Primarschüler mit seiner Schrift zufrieden. Die Freude an der Schule hatte er aber verloren.
Eine prägende Erfahrung hatte Erich Langjahr bereits im Kindergarten gemacht. Damals begegnete ihm zum ersten Mal der Katholizismus in der Person einer Menzinger-Schwester. Streng sei sie gewesen, aber auch mysteriös. Sie hängte drei Herzen an die Wand. Das schwarze Herz sei das eines Heidenkindes, erklärte die Ordensschwester. Das schwarz gesprenkelte sei das Herz eines ungetauften katholischen Kindes. Und das weisse sei das Herz eines getauften katholischen Kindes.
"Mich gab es nicht", sagt der reformierte Erich Langjahr, "ich habe darunter gelitten, in einem katholischen Land nicht katholisch zu sein", sagt er in seinem Film „Ex Voto“ von 1986. Fasziniert von der Liturgie habe er sich an der Erstkommunion-Feier seiner Freundin in die hinterste Kirchenbank geschlichen, erinnert sich Erich Langjahr. Die Faszination am Kulturchristentum, wie er es nennt, hat er nie verloren." Und woran glaubt der Filmemacher?
Der alte Mann schweigt lange, setzt an, bricht ab, lacht verlegen. Er denke zurzeit viel über den Glauben und die Endlichkeit nach. "In meiner Gläubigkeit bin ich fahrig", sagt Erich Langjahr und streicht immer wieder über seinen Kopf. "Natürlich glaube ich, dass es etwas gibt jenseits der Moleküle, es gibt einen Plan hinter allem, den ich spüre, wenn ich die Natur betrachte."
Wahrheit findet der Filmemacher aber auch auf der Leinwand. Die Geschichten, die wahr werden auf der Leinwand, seien die Geschichten in den Köpfen des Publikums. "Mit Kommentaren mache ich meine Bilder nur eng", sagt Erich Langjahr. Darum will er eigentlich gar nicht über seine Filme sprechen und scheut die Zeit, die nun kommt, wenn er seinen Film in die Kinos begleitet.