Karl-Anton Wohlwend leitet «migratio» seit 2019 a. i. Foto: zVg
«Aufeinander zugehen»
Mit anderssprachigen Gemeinschaften unterwegs: Karl-Anton Wohlwend, Nationaldirektor von «migratio», im Interview.
Ein vermehrtes Miteinander bei wertschätzendem Neben- einander: Anderssprachige Gemeinschaften sollen aufeinander zugehen, sich kennenlernen, voneinander lernen. Dafür setzt sich Karl-Anton Wohlwend bei «migratio» ein.
Interview: Marcel Friedli
«pfarrblatt»: Schweizer Katholik*innen treten aus der Kirche aus, während Missionen und anderssprachige Gemeinschaften Zulauf haben. Es wäre doch sinnvoll, diese Doppelstruktur aufzuheben?
Karl-Anton Wohlwend: Das mag auf den ersten Blick so scheinen. Die gewachsenen Strukturen, die auch Rom so empfahl, hatten irgendwann eine Berechtigung. So hatten Migrant*innen eine spezifische Seelsorge, um ihren Glauben in der Schweiz in ihrer eigenen Sprache leben und feiern zu können. Seit sich Migrant*innen in der Schweiz definitiv niederlassen, verändert sich die Situation in Richtung vermehrtes Miteinander. Deshalb stehen wir vor neuen Herausforderungen. Wir sind an einem Scheideweg mit der Frage: Wie gestalten wir vermehrt das Miteinander und den gemeinsamen Weg? Das ist ein Prozess, bei dem Fingerspitzengefühl gefragt ist. Es gilt, sich gemeinsam auf den Weg zu machen. Würde man anderssprachige Gemeinschaften einfach mit den hiesigen Pfarreien zusammenlegen, wäre das, als würde man eine Pflanze ausreissen: Es wäre ungewiss, ob sie am neuen Ort gedeihen würde.
Vielleicht wäre dies mit der nötigen Geduld und Pflege möglich?
Es braucht Geduld, Zeit und den Dialog. Der radikale Weg der Fusion würde den Gegebenheiten nicht Rechnung tragen. Lassen Sie mich dies an einem Beispiel veranschaulichen: Als die Italiener*innen in die Schweiz kamen, brachten sie ihre eigene Küche mit. Heute gehören Aceto Balsamico und Olivenöl zur Schweizer Küche. Doch bis es so weit war, dauerte es seine Zeit. Auch wir in der Kirche sind herausgefordert, aufeinander zuzugehen, voneinander zu lernen und einander zubereichern: indem wir uns füreinander interessieren, offen sind, Neues ausprobieren – und den Wert der anderen Kultur erkennen.
Wo sehen Sie Möglichkeiten, voneinander zu lernen?
Nachwuchssorgen bei den Priestern kennen vermehrt auch die Länder unserer anderssprachigen Gemeinschaften. Lässt man sich aufeinander ein, wird es möglich, neue Perspektiven zu sehen: zum Beispiel für die anders- sprachigen Gemeinschaften, dass man den Gottesdienst auch ohne Priester unter Leitung von Laien feiern kann. Im Gegenzug können wir Schweizer*innen lernen, direkter und offener auf Menschen zuzugehen, die in der Gemeinde oder Pfarrei neu sind.
Es gibt einiges zu tun. Meist herrscht eher ein Nebeneinander. Bei Anlässen ist man meist unter sich. Wie wollen Sie dies verändern?
Voraussichtlich Ende Jahr publizieren wir Leitlinien, wie sich die verschiedenen Kulturen näherkommen können. Daran arbeiten die Schweizerische Bischofskonferenz und die Römisch-Katholische Zentralkonferenz seit län2gerem intensiv. Wir haben erkannt, dass wir in einem ersten Schritt die Strukturen und die Führung verändern müssen: Darum werden Kompetenzen auf die diözesane und kantonale Ebene verlagert. Die Anbindung von anderssprachigen Gemeinschaften soll stärker regional und vor Ort erfolgen. So wird der Dialog an der Basis gestärkt und kommen anderssprachige Gemeinschaften und Ortspfarreien in einen stärkeren Dialog miteinander. In Lauterbrunnen oder Interlaken sieht das gemeinsame vielfältige Miteinander beispielsweise anders aus als in Bern. So können lokal spezifische gemeinsame Wege gefunden werden, die sich durch ihre Vielfalt auszeichnen.
Wie sieht der Zeitplan aus?
Es ist geplant, dass SBK und RKZ die erwähnten Leitlinien für das vermehrte Miteinander der Kulturen bis Ende dieses Jahres absegnen. Ab 2021 bis 2024 sollen neue Wege ausprobiert werden. Jeder Schritt, den wir aufeinander zugehen, ist Teil davon.
KULTURELLE VIELFALT
Migrant*innen der ersten Stunde, Secondas, Terzos: Rund 40 Prozent der katholischen Gläubigen haben einen Migrationshintergrund. Kaplanei, Mission und Personalpfarrei sind die verschiedenen Formen ihrer Glaubensgemeinschaft. Im Kanton Bern gibt es vier Missionen: die italienische, die spanische, die portugiesische und die kroatische. Zudem nehmen Gläubige von anderssprachiger Herkunft an Gottesdiensten der nationalen Missionen in Bern teil: so etwa Pol*innen, Ukrainer*innen, Vietnames*innen, Tamil*innen, Eritreer*innen.
Die Dienststelle «migratio» mit Sitz in Fribourg arbeitet im Auftrag der Schweizerischen Bischofskonferenz als deren Beratungs-, Stabs- und Ausführungsorgan.
Karl-Anton Wohlwend ist seit 2019 ihr Nationaldirektor ad interim. Auf einer Rucksackreise entlang der Seidenstrasse nach Peking verstärkte sich seine Faszination für die kulturelle Vielfalt. Zuvor war der 52-jährige Liechtensteiner, der Theologie und Volkswirtschaft studiert hat, in Leitungsfunktionen im Gesundheitswesen und in einem Sozialamt sowie als selbstständiger Berater tätig.
Infos: www.migratio.ch, www.kathbern.ch/missionen