Berichten den katholischen Kolleg:innen über ihr jüdisches Leben: Nathanael und Joshua (Bildmitte). Foto: Stefan Maurer

Aufeinander zugehen

Firmand:innen aus Bern West treffen jüdische Kollegen

Firmand:innen aus Bern West treffen Nathanael (18) und Joshua (17) von der jüdischen Organisation Likrat.

Christian Geltinger / Foto: Stefan Maurer

Es ist nicht selbstverständlich, seinen Glauben in Freiheit leben zu können. Für einen Grossteil der Jugendlichen aus den beiden Pfarreien St. Mauritius und St. Antonius gehört es einfach dazu, nach der Taufe und der Kommunion mit der Firmung sozusagen das Paket komplett zu machen.

Was es bedeutet, sich für seinen Glauben zu entscheiden, ohne Rücksicht auf mögliche «Unannehmlichkeiten», vielleicht sogar um den Preis von Ausgrenzung oder Anfeindungen, das haben die Firmand:innen bei einer Begegnung mit zwei Gleichaltrigen des Projekts Likrat erfahren, einer Initiative des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG).

«Likrat» heisst wörtlich übersetzt «aufeinander zugehen». Durch unkomplizierte Begegnungen möchte das Projekt die Vielfalt jüdischen Lebens erlebbar machen und dadurch Vorurteile, Klischees und Stereotype abbauen. Denn Diskriminierung basiert vor allem auf Unwissenheit und Fremdheit. Einige aus der Firmgruppe Bern-West, die bereits selbst Diskriminierungserfahrungen gemacht haben, können das sehr gut nachvollziehen.


Glaube und Lebensform

Mit seiner Frage «Isch Mundart guet?» liefert der 18-jährige Nathanael aus Zürich gleich zu Beginn den perfekten Icebreaker für eine Begegnung auf Augenhöhe. Für jüdische Jugendliche beginnt mit der Bar oder Bat Mitzwa schon im Alter von dreizehn bzw. zwölf das Erwachsenenleben. Schnell wird klar, dass der jüdische Glaube nicht nur ein Bekenntnis, sondern eine Lebensform ist.

Man wird in den Glauben hineingeboren. Tägliche Gebete, das Feiern des Sabbat, Speisevorschriften, zusätzliche Schulstunden in Hebräisch, das sind nur einige Aspekte, die den Alltag vieler Jüdinnen und Juden von Kindheit an prägen. Besonders eindrücklich für die Berner Jugendlichen ist, dass die Handys am Sabbat komplett aus bleiben oder dass aufgrund der Trennung von Milchigem und Fleischigem gläubige Menschen unter anderem auf Cheeseburger verzichten. Dafür gäbe es in Jerusalem einen koscheren McDonalds!

Der Verzicht auf ein Champions-League-Finale an einem Sabbat sei dann tatsächlich schon eine Herausforderung. Auf der anderen Seite steht die Verbundenheit mit einer grossen Gemeinschaft, die man von Kindheit an erlebt. Natürlich sei es jedem und jeder selbst überlassen, an welche Regeln er oder sie sich halte. Man sei damit aufgewachsen und es gehöre einfach dazu.

Es gäbe sowohl die «Dreitagesjuden», die nur an den drei hohen Feiertagen in die Synagoge gehen, als auch die Ultraorthodoxen, die ihr Besteck in die Blumenkästen stecken, um es wieder koscher zu machen. Hier gilt für Nathanael und Joshua die Devise «leben und leben lassen».


Gottvertrauen

Vor dem Hintergrund der Faszination für das jüdische Leben tritt die momentane Situation in Israel beinahe in den Hintergrund. Sie selbst hätten in den vergangenen Monaten arabische Familien genauso unterstützt wie jüdische, so Nathanael. Den direkten Draht nach Israel hat er über einen Teil seiner Familie, die dort lebt. Denn Fake News und Propaganda gäbe es auf Tiktok von jüdischer Seite genauso wie von palästinensischer.

Fakt ist aber auch, dass man nach den Schrecken des Holocaust als Jude heute wieder einer stärkeren Bedrohung ausgesetzt ist, ob vor der Synagoge oder auf dem Fussballplatz. Trotzdem trägt Nathanael auf dem Kopf seine Kippa, ein Zeichen dafür, dass «wir Männer uns nicht zu viel auf uns einbilden sollten», wie er sagt, denn Gott sei stärker.

Ein mutiges Zeichen, ein Zeichen der Demut, ein Zeichen des Gottvertrauens. Und so bleibt man etwas beschämt mit der Frage zurück, was wir bereit sind, in unseren Glauben zu investieren.