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Aufhören können
Aki-Kolumne von Geneva Moser
Fällt es Ihnen leicht, etwas aufzuhören? Autofahren, Aufschieberitis oder Lästern – die «schlechten» Gewohnheiten hinter sich zu lassen, ist herausfordernd, sowohl individuell als auch gesellschaftlich. Der Sozialpsychologe Harald Welzer formuliert es pointiert: «Uns fehlt eine Kultur des Aufhörens.»
An mehreren Abenden hat sich in den letzten Wochen eine Lesegruppe von Studierenden im aki getroffen, sich auf Harald Welzers Vortrag in der Heiliggeistkirche am 1. November vorbereitet und intensiv über sein Buch «Nachruf auf mich selbst» nachgedacht und diskutiert. Welchen Umgang mit Tod und Sterben pflegt unsere westliche Gesellschaft? Warum machen wir im Anblick der Klimakatastrophe weiter wie bisher? Was sind die Dinge, die am Ende wirklich zählen? Wie gehe ich persönlich mit dem Druck um, ein erfolgreiches und gelingendes Leben vorweisen zu müssen? Es sind existenzielle und drängende Fragen, die da besprochen werden. Die Abende sind dicht – und auch persönlich.
Auffallend ist: Das Buch kommt völlig unreligiös daher, Autor und Zielgruppe sind nicht kirchlich – und doch entfaltet sich das ganze Spektrum an behandelten Themen vor einem jüdisch- christlich theologischen «Bühnenbild». Der Schatz im Acker, der Himmel als Jenseitsvorstellung, der Reiche und das Nadelöhr, die Schöpfungserzählung – sie alle sind bei den Diskussionen mit im Raum.
So stellt Harald Welzer beispielsweise dem Aufhören-Können das Beginnen-Können gegenüber, der Sterblichkeit die Natalität. Da schwingen Bilder von Jesu Geburt und auch von Auferstehung mit. Zum Beginnen gehört das Aufhören – zum Aufhören der Neubeginn. Auch wenn Welzer vom sehr privatisierten, individuellen und gleichzeitig professionalisierten Umgang unserer Gesellschaft mit dem Tod spricht, sind die Fragen nach der Rolle von Religion nicht weit: Welche Rituale und Bewältigungsstrategien rund um das Sterben stellt uns Kirche zur Verfügung? Welche neuen Formen sind an die Stelle der bisherigen getreten?
Dass in den Debatten christliche Überzeugungen und biblische Bilder auftauchen, obwohl die Anlage des Buches so gar nicht in diese Richtung deutet, finde ich überraschend und wunderbar: Das ist die Brille, mit der wir lesen und die wir als aki quasi anbieten können: unaufdringlich und nicht missionarisch, aber mit Freude. Da und dort kann sie vielleicht hilfreich sein – und sei es dabei, mit einer schlechten Gewohnheit endlich aufzuhören.
Geneva Moser