Es war gedacht, dass Saisonniers hier arbeiten und nach ein paar Monaten zurück in ihre Heimatländer gehen. Darum gab es für sie bloss Wohnbaracken. Italienische Arbeiter im Wohnraum ihrer Baracke in Adliswil 1972. Foto: Keystone, Ruedi Rohrlasse
«Aus menschlichen und sozialen Gründen abzulehnen»
Klare Haltung der Kirchen
Das Saisonnierstatut, von 1934 bis 2002 in Kraft, missachte die Würde des Menschen: Die Kirchen haben etliche Male dagegen Position bezogen.
Von Marcel Friedli
Das Saisonnierstatut beruhe auf «fragwürdigen wirtschaftlichen Überlegungen», heisst es in einem der Dokumente der Synode 72. Es stelle «eine Ungerechtigkeit» dar, die «wir als engagierte Christen anprangern und beseitigen müssen».
Acht Jahre nach dieser Kirchenversammlung, 1980, formulieren es die Schweizerische Bischofskonferenz (SBK) und die Schweizerischen Evangelischen Kirchen (SEK) so: «Aus menschlichen und sozialen Gründen» sei die saisonale Regelung der Arbeit abzulehnen. Der Brief geht an die entsprechende Kommission des Nationalrats, mit Kopie an Bundesrat Kurt Furgler. Nur noch Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligungen seien zu erteilen.
Das Saisonnierstatut sei nicht haltbar, wiederholen die beiden Kirchen im Jahr darauf bei ihrer Stellungnahme zur «Mitenand»-Initiative: «Weil es vor allem das Interesse der Arbeitskraft, zu wenig aber die Würde und die Bedürfnisse der Menschen schützt. Es verhindert vielfach ein normales Zusammenleben von Mann und Frau in der Ehe und vertiefte Beziehungen zwischen Eltern und Kindern.»
Probleme mit der Identität
1988, bei der Stellungnahme zur Initiative «für die Begrenzung der Einwanderung» der Nationalen Aktion, gesellen sich auch die Christkatholik:innen dazu. «Der Familiennachzug für Ausländerinnen und Ausländer würde drastisch erschwert. Das Recht, in seiner Familie zu leben, ist aber ein zentrales Menschenrecht.» Dies lasse sich mit dem Auftrag der Kirchen nicht vereinbaren, «sich nach dem Beispiel Jesu vor allem der Benachteiligten anzunehmen».
Recht auf Familie
In einem internen Memorandum weisen die katholische und die evangelische Kirche vier Jahre später auf die Leiden und Demütigungen hin, weil die Familien der Arbeitsmigrant:innen nicht nachreisen dürfen: Die Familienmitglieder «leiden unter der Trennung und begegnen viel häufiger als andere Identitätsproblemen. Die länger dauernde Abwesenheit eines Elternteils kann Ursache von schweren Traumata sein.»
Im Milleniumjahr ist der Familiennachzug noch immer ein Dauerbrenner. Die SBK wird im Rahmen der Vernehmlassung zum Ausländergesetz nicht müde zu betonen: «Der Familiennachzug ist aus unserer Sicht nicht nur aus humanitären Gründen zu gewährleisten, sondern entspricht den Menschenrechten.» Mit der Abschaffung des Saisonnierstatuts 2002 wird auch der Familiennachzug, je nach Aufenthaltsstatus, neu geregelt.