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Ausnahmezustand, der –
... und die Frage, was nachher geschieht
Eigentlich ist es Ironie – gerade in der Fastenzeit, wegen der ich an derselben Stelle vor zwei Wochen von Entschleunigung und Konsumstopp geschrieben habe, wird die Gesellschaft stillgelegt. Nichts geht mehr, Konsum und Arbeit werden auf ein Minimum heruntergefahren. Nicht aus freien Stücken freilich, wie es die Idee der Fastenzeit wäre, sondern zwangsweise.
Die Folgerungen daraus verlaufen entlang zweier Denkweisen: Die einen begrüssen die Stilllegung, preisen die Vorteile für Natur und Gesellschaft, ja stehen teilweise sogar ei- ner «Reduzierung der Bevölkerung» positiv gegenüber – eine äusserst heikle Ansicht, und fussend auf einem kruden darwinistischen Evolutionismus. Die anderen fürchten um ihre Existenz und um das Wohl der Schwächsten in der Gesellschaft. Ich verwerfe erstere Haltung deutlich – in meinen Augen ist der Schritt von einer solchen evolutionistischen, naturalistisch-opportunistischen Inkaufnahme menschlichen Leids hin zu einem aktiven «Eingreifen» in die Bevölkerungsentwicklung sehr klein.
Nichtsdestotrotz – die Entschleunigung, die ich in der letzten Woche erfahren habe, ist bemerkenswert. Natürlich, der Preis dafür ist viel zu hoch. Aber wir realisieren plötzlich, wer in unserer Gesellschaft tat- sächlich unverzichtbare Arbeit leistet oder was sein könnte, wenn wir über unsere Zeit wirklich verfügen könnten. Trotz allem hoffe ich daher auf ein – man wagt es fast nicht zu sagen – Ostererlebnis. Was geschieht nachher? Es gibt nämlich ein Nachher, es wird weitergehen, wie nach jeder noch so schrecklichen Katastrophe. Das lehrt uns die Passionsgeschichte. Vielleicht werden wir umdenken, merken, dass es mit weniger Konsum geht. Der Kapitalismus würde so eine Erfahrung des Stillstands niemals freiwillig zulassen, weil das die absolute Doktrin unseres Systems in Frage stellt. Vielleicht werden wir, alle und am eigenen Leib, erfahren, dass es immer die Familien, Wenigverdienenden und Arbeitenden sind, die den Preis zahlen müssen. Vielleicht ist danach wirklich Zeit, etwas zu ändern.
Sebastian Schafer