Sonderbriefmarke mit sozialem Mehrwert. Hier jene für Verdingkinder. Foto: kr
Auswahl als Gratwanderung
Mit ihren Sondermarken möchte die Post Horizonte erweitern, sich der Schweizer Geschichte stellen und Botschaften von Tür zu Tür tragen.
Manchmal begegnet einem das Religiöse oder Soziale an Orten, an denen man dies gar nicht erwartet. Beispielsweise im Philatelieshop der Schanzenpost in Bern. Dort trifft man Bruder Klaus genauso wie den «Himmlischen Hof» des Berner Münsters oder die Opfer «fürsorgerischer Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen».
Die Post hat den Opfern «fürsorgerischer Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen» eine Sondermarke mit Zuschlag gewidmet. Diese hat einen Verkehrswert von einem Franken, der Zuschlag beträgt 50 Rappen. Die Zusatzeinnahmen fliessen vollumfänglich in den entsprechenden Soforthilfefonds. Bei der Präsentation der Marke im vergangenen Jahr sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga: «Der Staat drückt den Menschen, denen bis vor wenigen Jahren unvorstellbares Unrecht angetan wurde, mit dieser Sondermarke seine Wertschätzung aus. Die Marke ist also ein amtliches Zeichen der Wertschätzung.»
Fürsorgerische Zwangsmassnahmen waren in der Schweiz bis 1981 angeordnet worden. Zehntausende von Kindern und Jugendlichen wurden an Bauernhöfe verdingt oder in Heimen platziert, viele wurden misshandelt oder missbraucht. Aktuell zeugt eine eindrückliche Ausstellung im Museum Schwarzwasser in Schwarzenburg davon.
Die Sondermarke ist ein Novum. Bislang waren Marken mit Zuschlag einzig Pro Juventute und Pro Patria vorbehalten. «Die Post erweitert so Horizonte, stellt sich der Schweizer Geschichte und setzt ein klares Zeichen», sagte Thomas Baur, Mitglied der Konzernleitung der Post, bei der Präsentation. Briefmarken erzählten auf Kleinstformat die Geschichten der Schweiz. «Sie tragen Botschaften von Tür zu Tür – auch weit über unsere Landesgrenzen hinaus», erinnerte er.
Auch Bruder Klaus
Nach 1929 und 1937 bekommt Bruder Klaus zu seinem 600. Gedenkjahr ebenfalls eine Sonderbriefmarke. Die Marke wurde Anfang Jahr im Sarner Rathaus präsentiert. Franz Enderli, Landammann und Präsident des Trägervereins «600 Jahre Niklaus von Flüe», war an der Präsentation überzeugt: «Damit wird Niklaus von Flüe als Leitfigur in der Schweiz, als weit über die Geschichte hinaus strahlende Persönlichkeit gewürdigt.»
Gestaltet hat die 100er-Marke der in Zürich wohnhafte Grafiker Markus Bucher – ein gebürtiger Kernser. Bei seinen Recherchen stiess Bucher im Historischen Museum in Sarnen auf ein Bildnis von Bruder Klaus, gemalt von einem unbekannten Künstler. Von diesem Bild liess sich Bucher inspirieren.
Das Paradies in Bern
Zu guter Letzt sind der religiösen Dinge nicht genug. Auch der «Himmlische Hof» im Berner Münster bekommt eine Sonderbriefmarke. Seit Anfang Monat ist sie erhältlich. Es ist dies die Darstellung des Paradieses im Chorgewölbe. Dessen komplette Restauration wurde diesen Sommer abgeschlossen. Dabei kamen einzigartige Figuren mit Bemalung im Originalzustand von 1517 zum Vorschein. Ein Glückstreffer von unschätzbarem Wert.
Der «Himmlische Hof» ist wohl nach einem bestimmten Plan komponiert, von der Trinität im Osten bis zu den Bauleuten im Westen. Er stellt das Paradies dar, das nur durch die Familie Jesu, Apostel, Heilige, Bischöfe und Märtyrerinnen bevölkert ist. Der Rest der Menschheit wartet im Grab auf die Auferstehung, so die Vorstellung der Spätgotik. Es ist ein eigentlicher himmlischer Stein- und Skultpurengarten. Die «pfarrblatt»-Führung im Sommer durch ebendiesen «Himmlischen Hof» war restlos ausverkauft und ein grosser Erfolg. Bilder dazu gibt es online noch zu sehen.
Wie entstehen Sondermarken?
Auf Anfrage teilt der Mediensprecher der Post Oliver Flüeler mit, dass die Post jährlich insgesamt rund 50 Briefmarken mit unterschiedlichen Sujets herausgebe. Dabei versuche man, eine möglichst grosse Vielfalt von Themen und Ereignissen zu berücksichtigen. Dazu würden sich dann fünf bis zehn Sonderbriefmarken gesellen. Diese seien für Institutionen oder bestimmte Persönlichkeiten reserviert. Die Post erhalte, so Oliver Flüeler, jährlich rund 30 Anfragen. «Es muss eine Auswahl vorgenommen werden. Vor dem Hintergrund eines vielfältigen Mixes kann der Entscheid für oder gegen ein Thema jeweils eine Gratwanderung sein», erklärt er.
Interessierte für eine Sondermarke würden sich in der Regel bei der Post melden und Vorschläge unterbreiten. Die Abteilung «Briefmarken/Philatelie» würde diese Vorschläge dann begutachten und eine Empfehlung aussprechen. Ganz am Schluss entscheide die Konzernleiterin.
Die Auflage der Bruder-Klaus-Marke ist noch nicht bekannt. Diese erfahren wir erst zwei Jahre nach Verkaufsende. «Die Briefmarke ist ein Sammlerobjekt, die Bekanntgabe der Auflage bereits während des Verkaufs würde das Sammlerverhalten und damit den Sammlerwert der jeweiligen Briefmarke stark beeinflussen», erklärt Oliver Flüeler. Bruder Klaus ist also auch ein Sammelobjekt, zumindest hier als Briefmarke. Ob erfolgreich oder nicht, das lässt sich noch nicht sagen.
Andreas Krummenacher