Barbara Kückelmann. Bild zVg

«behütet und getröstet»

18.02.2015

Zum Tag der Kranken am 1. März

«pfarrblatt»: Barbara Kückelmann, was bedeutet Ihnen der Tag der Kranken, der jährlich begangen wird?
Barbara Kückelmann: Ehrlich gesagt, es ist ein etwas zwiespältiges Gefühl, das mich befällt – wie bei allen speziellen «Tagen» im Jahreslauf wie Frauentag, Muttertag, Welternährungstag. Was soll so ein «Tag der ...» bewirken? Was wird erreicht, wenn wir einmal im Jahr an eine bestimmte Personengruppe denken? Was nutzt es den Kranken, wenn wir sie nur einmal im Jahr in den Mittelpunkt stellen? Eine Gefahr sehe ich darin, so einen «Tag» zu einer Alibiübung verkommen zu lassen, wie wir das etwa beim Muttertag beobachten.
Auf der anderen Seite lese ich auf der Homepage des gemeinnützigen Vereins «Tag der Kranken», dass es darum geht
• gute Beziehungen zwischen Gesunden und Kranken zu fördern;
• an die Pflichten von Gesunden gegenüber Kranken zu erinnern;
• das Verständnis für die Bedürfnisse der Kranken zu fördern und
• die Tätigkeit all jener anzuerkennen, die sich beruflich oder privat für Patienten einsetzen.
Mit diesen Zielen kann ich mich gut identifizieren. Es sind in weitestem Sinn diakonische Ziele.

Jährlich finden zum «Tag der Kranken» in Pfarreien und Kirchgemeinden Gottesdienste statt. Die Bischöfe veröffentlichen eigene Botschaften für diesen Tag. Was soll damit erreicht werden?
Der «Tag der Kranken», jeweils am ersten Märzsonntag, ist kein eigentlich kirchlicher Feiertag. Er geht zurück auf die Initiative der Tuberkulose-Ärztin Marthe Nicati, es gibt ihn seit über 75 Jahren, und er wird von einem gemeinnützigen Verein getragen. Die Kirchen machen mit, weil sie in ihrer seelsorgerlichen und diakonischen Arbeit ähnliche Ziele verfolgen: diejenigen ins Zentrum zu rücken und sichtbar zu machen, die allzu oft an den Rand gedrängt oder übersehen werden, Beziehungen zwischen Starken und Schwachen zu stärken, das Engagement so vieler anzuerkennen, auch dafür zu sensibilisieren, wo ich als vermeintlich Starke schwach bin, bedürftig, abhängig. Und umgekehrt: wie viel Kraft in der Schwäche liegen kann.

Die katholische Kirche Region Bern bietet – zusammen mit der reformierten Kirche und der Seelsorge am Inselspital – seit dem letzten Jahr eine eigene ökumenische Segensfeier unter dem Titel «behütet und getröstet» an. Auch wieder an diesem 1. März. Was wollen diese Feiern?
Diese Segensfeier ist speziell auf Kranke, Verletzte und Menschen, die ihnen nahestehen, zugeschnitten. In klaren Zeichen und wenigen Worten soll ein Raum geöffnet werden für die verschiedenen Facetten, in denen sich kranksein äussert: Vielleicht ist da eine grosse Wut über das, was passiert ist. Vielleicht stehen Angst und Sorgen im Mittelpunkt. Manche Betroffene fühlen sich hin- und hergerissen zwischen Verzweiflung und leiser Hoffnung. All das, was für Betroffene Bedeutung hat, soll gewürdigt und unter den Segen Gottes gestellt werden.

Wer ist zu diesen ökumenischen Segensfeiern eingeladen?
Eingeladen sind grundsätzlich alle, die sich angesprochen fühlen. Da diese Feier sehr frei und offen gestaltet wird, können wir uns gut vorstellen, dass sich auch Menschen wohlfühlen, die sich von eher traditionellen Gottesdienstformen nicht so sehr angesprochen fühlen. Auch sind alle herzlich willkommen, die sich selber gar nicht als «kirchlich» oder «fromm» bezeichnen, aber in ihrer jetzigen Situation diesen Moment des Zur-Ruhe-Kommens, der Besinnung und der Stärkung geniessen möchten. Wir freuen uns auf alle – ob sie nun selber krank sind oder ob sie als Pflegende, Familienangehörige oder FreundInnen mit kranken Menschen zusammen sind.

Kranke gehören zuerst in die Hände des Arzt- und Pflegepersonals. Was ist hier die Aufgabe der Seelsorge?
Unser Gesundheitssystem ist sehr differenziert, und das macht es ja auch erfolgreich. Die Seelsorge versteht sich als ein Puzzleteil darin, in der Begleitung durch die Krankheit hindurch einen wichtigen Beitrag zu leistet. In diesem Sinn versteht sich die Seelsorge ergänzend zu den medizinischen Disziplinen. Seelsorge sieht immer den ganzen Menschen – mit seiner Biografie, seinen Ängsten, mit all den Widersprüchen, die oft durch die Erfahrung der Krankheit und des Unfalls sichtbar werden. Mit «spiritual care» bieten Seelsorgende eine Begleitung an, in denen die Patienten und Patientinnen im Zentrum stehen.

Studien zeigen, dass Menschen mit einem starken Glauben Krankheiten und Zeiten der Rekonvaleszenz besser ertragen und überstehen. Ist das so und wenn ja, warum ist das so?
Offenbar ist es so, dass Menschen, die persönlich sehr verankert sind im Glauben, Kräfte mobilisieren können, die ihnen helfen, schwere Zeiten zu bewältigen. Ich kann nur vermuten, warum das so ist. Vielleicht ist in solchen Menschen das Vertrauen tief verankert, dass sie – bei allem, was ihnen zustösst – nicht ins Bodenlose fallen, nie tiefer als in Gottes Hand, dass sie letztlich nicht allein sind.

Wenn Sie an eigene erlebte Zeiten von Krankheit zurückdenken, was hat Ihnen damals gut getan?
Zum Glück war ich noch nie so schwer erkrankt, dass ich mich beispielsweise mit dem nahenden Tod hätte auseinandersetzen müssen oder mit markanten und dauerhaften Einschränkungen. In den Zeiten der Krankheit, die ich selber erlebt habe, habe ich es als wohltuend erfahren, wenn meine Umgebung ein gutes Gespür für Nähe und Distanz hatte. Ich habe es gebraucht, allein zu sein, in Ruhe gelassen zu werden, und ebenso habe ich es gebraucht, nicht allein zu sein, Menschen zu haben, die für mich gesorgt haben, die mich verwöhnt haben, die mir ihre Zeit geschenkt haben. Letztlich erfahren wir über andere, was «Nähe Gottes» bedeutet und wie heilsam sie ist.

Interview: Jürg Meienberg

«behütet und getröstet»
Segensfeier für Kranke, Verletzte und Nahestehende. Die Feier findet an zwei Orten statt.
Infos: www.kathbern.ch/behuetet
• Sonntag, 1. März, 10.00–10.45, katholische Kapelle Inselspital. Mit Ingrid Zürcher (ref. Pfarrerin, Seelsorgerin Inselspital), Barbara Kückelmann (kath. Theologin, Dekanatsbeauftragte) und Sabine Kolly (Orgel).
• Sonntag, 1. März, 17.00–17.45, Nydeggkirche Bern. Mit Markus Niederhäuser (ref. Pfarrer), Barbara Kückelmann (kath. Theologin, Dekanatsbeauftragte) und Thomas Leutenegger (Orgel