Bernd Nilles ist Dikretor des katholischen Hilfswerk Fastenaktion. Foto: Christoph Knoch.

Bernd Nilles: «Die Schweiz ist bald der letzte weisse Fleck in Europa»

Die «Koalition für Konzernverantwortung» hat die nötigen Unterschriften in Rekordzeit gesammelt. Auch Bernd Nilles, Geschäftsleiter von Fastenaktion, hat mitgemacht. Er hofft, dass die Politik agiert und eine Abstimmung gar nicht nötig ist.

 

Annalena Müller

Innerhalb von 14 Tagen hat die «Koalition für Konzernverantwortung» 183'661 Unterschriften gesammelt. Der Sammelrekord unterstreicht die grosse Unterstützung für die Initiative in der Bevölkerung, teilten die Organisator:innen in einer Medienmitteilung am Dienstag (21.1.) mit. In einem nächsten Schritt müssen die Unterschriften nun beglaubigt werden. Es dürfte aber kein Zweifel bestehen, dass die Initiative zustande kommt. 

Der Neuanlauf der «Konzernverantwortungsinitiative (KOVI) will laut den Verantwortlichen verhindern, dass die Schweiz bald als «einziges Land ohne Konzernverantwortung» ist. Während die Unterstützung der Strasse gross zu sein scheint, ist das bürgerliche Lager in der Politik skeptisch. 

Bernd Nilles, Geschäftsleiter des katholischen Hilfswerks Fastenaktion hat selbst Unterschriften gesammelt. Die Widerstände in Politik und Wirtschaft versteht er nicht. Es gehe nicht gegen Grossunternehmen, sondern um deren Verantwortungspflicht gegenüber Mensch und Umwelt.

Die Koalition für Konzernverantwortung hat in nur 14 Tagen knapp 184'000 Stimmen gesammelt. Überrascht Sie dieses Ergebnis, Herr Nilles?

Bernd Nilles*: Einerseits ja, andererseits durfte ich letzten Samstag selbst Unterschriften sammeln und habe hautnah erlebt, wie gross das Interesse der Bevölkerung an diesem Thema ist. Mich hat sehr überrascht hat, wie gut viele Menschen informiert sind und wie enthusiastisch sie sich zum zweiten Versuch äussern. Dass es jedoch in so kurzer Zeit klappt, hätte ich nicht erwartet. Es zeigt, wie tief dieses Anliegen in der Gesellschaft verwurzelt ist.

 

Die Unterschriftensammelnden waren äusserst gut organisiert. Am Samstag standen sie überall dort, wo Menschen sind – vor der Migros, beim Bäcker, in Schwimmbädern… Wie hat sich das angefühlt?

Nilles: Zunächst gilt ein grosser Dank dem Koordinationsteam der Konzernverantwortungsinitiative. Sie haben ein beeindruckendes Netzwerk aufgebaut. Dabei selbst mitzumachen, hat mir wirklich Spass gemacht. Zuerst dachte ich: Am Samstagmorgen früh aufstehen und dann fremde Leute ansprechen – das klingt stressig. Aber es war eine grossartige Erfahrung, die Leute waren begeistert. Dieses Engagement ist fantastisch. Auch im Fastenaktionsteam habe ich das erlebt: Viele haben privat ihre Freunde und Bekannten mobilisiert, um an diesem Tag zu sammeln, oder haben die Koordination in ihrem Quartier übernommen.

Wie haben die Menschen reagiert, die Sie angesprochen haben?

Nilles: Einige Reaktionen waren wirklich amüsant. Mehrmals hörte ich: «Ach, da habe ich doch schon abgestimmt.» – Das bezog sich auf 2020. Berührend waren Menschen, die sich bei mir bedankt haben, dass ich an einem Samstagmorgen für diese Sache aufgestanden bin. Natürlich gab es auch Leute, die gesagt haben: «Nein, ich stimme nie ab» oder: «Nein, ich unterschreibe nichts.»

Nach der ersten KOVI mussten die Kirchen einige Kritik einstecken, besonders aus bürgerlichen Kreisen. Manche sorgen sich, dass ein neuer Anlauf neuen Ärger bedeutet. Werden wir wieder Banner an Kirchtürmen sehen?

Nilles: Ganz grundsätzlich: Der Einsatz für Gerechtigkeit und die Einhaltung von Menschenrechten ist etwas Selbstverständliches – auch für Christen und Christinnen. Beim Hilfswerk Fastenaktion ist dieser Einsatz unser Kerngeschäft, und wir sind dankbar für alle Menschen, die sich ehrenamtlich für Konzernverantwortung einsetzen. Es geht heute wie schon 2020 darum, die grössten und mächtigsten multinationalen Konzerne haftbar zu machen, falls sie bei ihren Tätigkeiten irgendwo auf der Welt gegen Rechtsnormen verstossen, die in der Schweiz gelten.

Es geht also nicht gegen Unternehmen an sich, wie einige Politiker:innen behaupten?


Nilles: Nein, darum ging es 2020 nicht und darum geht es 2025 nicht. Ich hoffe, dass auch wirtschaftliche und bürgerliche Kreise den Mehrwert dieser Initiative erkennen. Man muss sich vor Augen halten: Die Schweiz ist bald der letzte weisse Fleck ohne Konzernverantwortung in Europa. Das kann die Schweiz nicht wollen. Es ist eine grosse Chance, die Konzernverantwortung auch hier einzuführen. Daher hoffe ich, dass es gar nicht nötig sein wird oder dass es zu einer Polarisierung wie 2020 kommt.

Ist weniger Polarisierung realistisch?

Nilles: Die Polarisierung 2020 kam von vielen Seiten. Dabei hat das Thema eigentlich mehr Sachlichkeit und Respekt verdient. Eine griffige Regelung zu schaffen, die Schweizer Grossunternehmen haftbar macht, wenn sie ausserhalb der Schweiz Menschenrechtsverletzungen oder schwere Umweltschäden verursachen – dagegen kann man eigentlich nicht sein.

Kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) sind diesmal ausgenommen…

Nilles: Es war uns wichtig, das von Anfang an klarzustellen. Schon im Entwurf 2020 waren KMUs weitgehend ausgenommen. Dieses Mal haben wir das noch deutlicher gemacht, sodass es keinen Zweifel gibt. Die Initiative richtet sich nur an grosse Unternehmen, die weltweit agieren und Verantwortung für ihre Tätigkeiten übernehmen sollen.

Was wünschen Sie sich persönlich?
 

Nilles: Ich wünsche mir, dass sich Wirtschaft und Politik schnell hinter die Initiative stellen und dass wir rasch ein gutes Gesetz umsetzen können – idealerweise so, dass eine Volksabstimmung gar nicht nötig ist. Wenn Unternehmen vor Ort Gutes tun, investieren und die Menschen respektieren, ist das eine positive Sache. Bei der Initiative geht es nur darum, Grosskonzerne in die Verantwortung zu nehmen, die das nicht tun und die Abhängige ausbeuten – Menschen, die derzeit keine rechtliche Möglichkeit haben, sich zu wehren.

*Bernd Nilles (54) ist Geschäftsleiter des katholischen Hilfswerks Fastenaktion. Das Hilfswerk setzt sich für benachteiligte Menschen ein – für eine gerechtere Welt und die Überwindung von Hunger und Armut.