
Chistoph Knoch, Nadire Mustafi, Isabelle Berger, Benjamin Baumann und Özlem Duvarci (von links nach rechts). Foto: Pia Neuenschwander
Beten, feiern, erzählen: Wie Eltern religiöse Geburtshilfe leisten
Eine Muslima, ein freikirchlicher Christ, eine Alevitin und der christliche Vater einer jüdischen Tochter berichten, wie sie ihren Kindern den Glauben weitergeben und was sie selber auf ihrem religiösen Lebensweg entscheidend geprägt hat.
Interview: Isabelle Berger
Özlem, Benjamin, Nadire und Christoph – ihr seid alle stark in eurer Religion verwurzelt. Welche Vorbilder oder Ereignisse haben euch religiös geprägt?
Özlem Duvarci: Als meine Tochter geboren wurde, kam meine Jugendfreundin zu Besuch, und wir hörten im Hintergrund alevitische Musik. Plötzlich stand meine Freundin auf und begann sich zu drehen. Dabei vollführte sie die typischen Gesten, die man beim Semah macht. Dieser Gebetstanz ist das wichtigste Ritual der Aleviten. Als ich das sah, kamen mir auf einmal die Tränen. Ich wischte sie jedoch schnell weg, weil ich mir nicht zugestehen wollte, in diesen Zustand zu geraten, in dem man keine Kontrolle mehr über sich selbst hat. Das war meine erste mystische Erfahrung.
Benjamin Baumann: Meine christliche Prägung begann in meiner Kindheit in Südamerika. Ich wurde in Peru geboren und verbrachte die ersten sechs Lebensjahre im Amazonasgebiet. Meine Eltern waren dort in einem missionarischen Hilfswerk tätig, sie haben mir den Glauben von Anfang an praktisch vorgelebt. Wie sie ihre tiefe und vertrauensvolle Beziehung zum Vater im Himmel gelebt haben und es noch heute tun, hat mich sehr geprägt. Ich selbst habe schon in der Kindheit den Heiligen Geist gespürt, fühlte mich von ihm geführt und durfte viele Wunder erleben.
Nadire Mustafi: Den ersten Kontakt mit dem Glauben hatte ich vor allem durch meine Mutter. Sie betete und fastete in einer lockeren Art und Weise, die Eindruck hinterliess. Als Achtjährige kam ich in einem kleinen Dorf in Niederösterreich an und kannte die Sprache nicht. Dass ich fremd war, hat man mich teils positiv, teils negativ spüren lassen, Letzteres vor allem in der Schule. Ich war überfordert damit, dass das Religiöse plötzlich so sehr im Vordergrund stand.
Es kamen bei mir viele Fragen auf. Zu Hause bekam ich Antworten, die vertrauensbildend waren, mir aber nicht genügten. Als ich im Jugendalter war, thematisierte mein damaliger Religionslehrer die islamische Religion. Für mich war es das erste Mal, dass ich dies im öffentlichen Kontext erlebte. Dabei ging für mich eine Welt auf, weil er Antworten lieferte, die ich auch nachlesen konnte.
So kam es, dass ich später islamische Religionspädagogik studierte. Ich lernte auch verschiedene Personen kennen, deren Art, den Glauben zu leben, mich anzog und interessierte. Es gab in meinem Leben auch spirituelle Erlebnisse, die mich tief berührten.
Christoph Knoch: Ich bin in einem Pfarrhaus aufgewachsen. Die religiöse Praxis und das Eintauchen in die biblischen Geschichten waren selbstverständlich. Während meiner Schulzeit standen Naturwissenschaft und Technik aber mehr im Vordergrund als die Theologie, für die ich mich dann entschied.
Das Theologiestudium in Tübingen, Jerusalem und Bern hat mich geprägt. Ein wichtiges Vorbild wurde für mich der Basler Ökumeniker Lukas Vischer. Er verstand es, die Konfessionen miteinander ins Gespräch zu bringen. Lukas Vischer war es auch, der mir zum ersten Mal die Teilnahme an einer internationalen interreligiösen Tagung ermöglichte. Er vermittelte zudem, dass meine jüdische Freundin ebenfalls mitkommen durfte. Inzwischen sind sie und ich beinahe vierzig Jahre verheiratet
Wie wurdet ihr von Dritten unterwiesen, und welche Rolle spielten Institutionen auf eurem religiösen Bildungsweg?
Nadire Mustafi: Das Studium stimmte mich positiv gegenüber meinen vielen Fragen und Wissenslücken, und es motivierte mich, aktiv in der österreichischen Glaubensgemeinschaft der Muslime mitzumachen. Zwischen dem, was im Koran, der heiligen Schrift des Islam, steht, und dem, was ich mit den Mitstudierenden reflektierte, sowie dem, was in der Glaubensgemeinschaft praktiziert wurde, spürte ich Unterschiede. Gleichzeitig erlangte ich die Sicherheit, sagen zu können: Nein, das könnten wir doch anders machen. Das hat mir den Blick geöffnet für unseren Umgang mit institutioneller Religiosität.
Es folgten Phasen, in denen ich mich zurückzog, und solche, in denen ich mich wieder mehr einbrachte. Diese Zeit hat meine Wahrnehmung von Religion geschärft, weil ich klare Vorstellungen hatte, was ich sein will und was nicht.
Özlem Duvarci: Wir Aleviten haben keine Institutionen wie die anderen Religionsgemeinschaften. Da die Aleviten sich immer vor missionierenden anderen Religionen und Grossmächten schützen mussten, haben sie sich in schwer zugänglichen Dörfern in den Bergen versteckt. Ich finde es wichtig, dass Alevitinnen und Aleviten, die ihren Herkunftsort verlassen mussten und nicht mehr in Dorfgemeinschaften leben, auch in der Fremde einen Ort haben, an dem sie sich sicher fühlen und ihre Rituale in der Gemeinschaft pflegen können.
Deshalb gefällt mir die Idee des Hauses der Religionen in Bern sehr gut. Hier können alle ihren Glauben frei und sicher ausleben. Mit meinem Engagement in dieser Institution habe ich das gefunden, was ich seit meiner Jugend gesucht habe. Um Französisch zu lernen, schloss ich mich als Teenager einer katholischen Jugendgruppe und später einer christlichen Studierendengruppe an. Ich blieb jahrelang dort, weil es mir gefiel und ich dort Freunde fand. Am Anfang habe ich immer gesagt, dass ich nicht gläubig bin. Aber dann habe ich gemerkt, dass ich es doch bin, allerdings nicht so wie sie. Ich fand es schön, dass mir nie gesagt wurde, wie ich mir das Göttliche vorzustellen habe, oder ich solle dies und jenes glauben und tun. So ist es auch im Alevitentum.
Christoph Knoch: Ich finde es spannend am Alevitentum, dass es keine strukturierte Unterweisung gibt. Im Christentum ist es hingegen eine alte Tradition, Kinder zu unterweisen und mit ihnen über Gottesbilder zu sprechen.
Dieser Artikel ist im zVisite erschienen