Christina Brun in Dheisneh, Palästina (v.links: Malak, Miral, Amal, Christina Brun und Sarah). Foto: zVg

Blickwechsel

09.03.2016

Frauen im Libanon sollen ihre eigene Geschichte erzählen.

Im Libanon mit 4 Millionen Einwohnern ist jede 4. Person ein Flüchtling. Etwa 78 Prozent der syrischen Flüchtlinge im Libanon sind Frauen und Kinder. Im syrischen Krieg wird sexuelle Gewalt als Kriegsstrategie eingesetzt. Mit einem «Safe Space», eingesetzt von der UN, erhalten weibliche Kriegsüberlebende spezifische Betreuung vor Ort. Christina Brun, Journalistin und Fotografin aus der Schweiz, beteiligt sich freiwillig für vier Monate an einem Projekt für Trauma-Aufarbeitung.

Die 24jährige Multimediafachfrau Christina Brun ist von der Magie der arabischen Welt fasziniert. Trotz Krieg, Ungerechtigkeiten und politische Wirren. «Wenn man selber vor Ort ist und den Geschichten der Menschen direkt begegnet, ergibt sich mir ein anderes Bild als jenes, das mir durch die Medien vermittelt wird», erzählt sie. Brun spricht aus eigener Erfahrung.
2014 war sie zwei Monate im Dheisheh-Flüchtlingslager in der Nähe von Bethlehem in Palästina und realisierte mit Kindern Workshops zu den Themen Fotografie und Journalismus: «Mir wurde in dieser Arbeit klar, dass es grossen Sinn macht, die Menschen vor Ort selber ihre Geschichten erzählen zu lassen, statt nur über sie zu berichten. Sie fotografieren anders und erzählen über ihre Bilder persönliche Geschichten. Das ergibt einen ganz anderen Blick auf die aktuellen Geschehnisse.»

Mit den gemachten Erfahrungen realisierte sie 2015 eine Ausstellung unter dem Titel «Stories beyond the wall» im Kanton Solothurn. In der multimedialen Schau konnten die Besucher das Flüchtlingslager aus den Augen der Kinder kennenlernen. Sie erhielt dafür den 1. Platz im Jugendwettbewerb 2015 des Kantons Solothurn.

Seit Ende Februar weilt sie nun im Distrikt Zahle im Libanon. Dort arbeitet sie im Rahmen der deutschen Organisation Amica mit der politisch, konfessionell und religiös unabhängigen libanesischen NGO KAFA in einem «Safe Space» mit, der durch Beratungen und Trauma-Aufarbeitung Frauen in ihrem Selbstbewusstsein stärken und stabilisieren will.
Sie wird in Workshops ungefähr 12 Frauen betreuen und sie in Fotografie und «Storytelling» (Geschichten erzählen) einführen. Als Fotojournalistinnen und Storyteller sollen die Frauen in der Folge selber zu arbeiten beginnen. Geplant ist mit den Frauen der Aufbau einer Bilddatenbank, deren Bilder verkauft werden, um ihnen eine neue Einkommensquelle zu ermöglichen.
Die dazu gehörenden Kurztexte sollen Medienunternehmen angeboten werden. «Damit fördere ich bewusst das direkte Erzählen von Betroffenen.» Christina Brun arbeitet ohne Lohn. Sie hat sich in den letzten Monaten in einer aufwendigen Mittelbeschaffung Sponsoren gesucht, damit Aufenthalt, Reise und die Materialien finanziell abgedeckt sind.

Was treibt die junge Frau an? Will sie Erfahrungen für ihren Beruf sammeln? Oder geht das Engagement tiefer? Christina Brun ist im Kanton Solothurn katholisch aufgewachsen. Ihr Vater arbeitete und arbeitet als Diakon in Pfarreien in den Kantonen Solothurn und Bern. Religion und Geschichte haben sie auch deshalb früh zu interessieren begonnen: «Ich fand es interessant, wie Religion Kultur beeinflusst und Kulturen Religionen prägen. In der arabischen Welt empfand ich das Zusammenleben im Familienclan zum Beispiel als sehr faszinierend. Zurück in der Schweiz berührte es mich schon seltsam, dass wir tagtäglich so vielen Menschen begegnen und trotzdem unter ihnen vereinsamen.»
Der Einsatz für Gerechtigkeit treibt sie an und Begegnung mit Menschen. «Die Kirche macht hier schon viel Gutes, aber in die Gottesdienste geht für mich mein Vater genug», lacht sie unbeschwert. Die Sehnsucht nach Religion ortet sie in unserer Gesellschaft im Bedürfnis nach Stille und Naturbegegnungen, die sich im Pilgern, das wieder Trend geworden ist, zeige: «Kirchengebäude, starre Regelwerke, das dauernd hinter der modernen Welt hinterherhinkende Gebaren üben keine Faszination mehr aus, sind nicht mehr glaubwürdig für mich», sagt sie nachdenklich, «das gilt auch für viele meiner Freunde.» Der von ihr empfundene Overkill von negativen Nachrichten schränkt bei vielen den Zeitungskonsum ein: «In Palästina habe ich erlebt, welchen Wert das selber Erzählen der Betroffenen hat. Diese für mich neue Sicht möchte ich fördern. Ich glaube daran, dass damit auch ein ganz anderer Blick in die Krisenregionen möglich wird.»

Es geht also um einen Blickwechsel, um eine Art Umkehr. Christina Brun wird je nach Verlauf aus dem Libanon berichten und dem «pfarrblatt» Frauengeschichten liefern.

Jürg Meienberg


Hinweise
Internetauftritt: www.christinabrun.com
Website zur Ausstellung «Stories beyond the wall»: www.piecesofpalestine.com