Wasserbrücke in den sicheren Hafen. Schärme-Brügg. Foto: Sylvia Stam

Brücke als Sinnbild für sichere Fluchtwege

15.06.2022

Die «Schärme-Brügg» ist eine begehbare Installation auf dem Berner Bahnhofplatz

Auf dem Bahnhofplatz Bern steht seit Dienstag die «Schärme-Brügg». Sie führt vom Platz durch ein Kirchenfenster in die Heiliggeistkirche und will auf das ungelöste Problem der unsicheren Fluchtrouten nach Europa aufmerksam machen. Der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried eröffnete am 14. Juni die begehbare Holzbrücke.

Von Antonio Suárez

«Auch wenn wir zurzeit gezeichnet sind von der Krise in der Ukraine, spielt sich auf dem Mittelmehr tagtäglich ein Drama ab», erinnerte der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried in einer kurzen Ansprache an die vielen Menschen, die bei der riskanten Überfahrt übers Meer ertrinken.

Die Zahl der Menschen, die seit 1993 beim Versuch, nach Europa zu flüchten, gestorben sind, wird auf mehr als 48’000 beziffert. Die Angaben beruhen auf der «List of Refugee Deaths», die vom paneuropäischen Netzwerk «UNITED for Intercultural Action» in regelmässigen Abständen aktualisiert wird.

«Es ist ein grosses Verdienst dieses Projekts, dass man mit dieser Brücke zeigt, worum es geht: nämlich darum, Brücken zu bauen, um sichere Fluchtwege zu ermöglichen», so von Graffenried.

Kirche will im übertragenen Sinn Brücken bauen

Unter finanzieller Beteiligung der Kirchen wurde nun in Bern erstmals eine Brücke gezimmert. Gebaut wurde sie von der Zimmerei Aufholz in Niederscherli nach Plänen des Künstlers Christian Grogg, der sich von historischen Brückenbauten im Tessin inspirieren liess. Umrahmt ist die hellblaue Brücke von Figuren des Künstlers Peter Leisinger. Zudem wurden an der angrenzenden seitlichen Aussenwand der Heiliggeistkirche weisse Stoffstreifen aufgehängt, auf denen die tödlichen Fluchtereignisse dokumentiert sind.


Eine kurze Rede hielt an der Einweihung auch Ueli Burkhalter, Synodalrat der Evangelisch-reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn, Hauptsponsorin der «Schärme-Brügg». Brücken in die Gesellschaft zu bauen, sei eine grosse Aufgabe der Kirche, betonte er. «Wir sollten den Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher Überzeugungen fördern. Wenn Kirche ein Ort des Schutzes und der Geborgenheit sein kann, und auf der anderen Seite eine Organisation mitwirkt, die Brücken baut, dann bin ich überzeugt, dass wir unseren christlichen Auftrag in der Gesellschaft erfüllen.»

 «Beim Namen nennen»

Veranstalterin des temporären Gedenkorts ist die «offene kirche bern». Der ökumenische und interreligiöse Verein war auch an der Planung der Brücke federführend beteiligt, welche zwei Wochen am Standort bleiben wird und somit auch während des Berner Stadtfests noch begangen werden kann.

Höhepunkt der Aktion wird der Gottesdienst zum Internationalen Flüchtlingstag am Sonntag, 19.Juni, um 10:30 Uhr in der Heiliggeistkirche sein. Am selben Ort werden in den 24 Stunden davor die Liste der verstorbenen Flüchtlinge in einer Daueraktion verlesen.

Die Gedenkaktion «Beim Namen nennen» entstand ursprünglich in Bern, wird mittlerweile aber in zahlreichen weiteren Schweizer Städten durchgeführt. Auch in sieben deutschen Städten finden Parallelaktionen statt.


«Wir lesen nicht nur die einzelnen Namen vor, sondern beschreiben auch, was genau geschah. Manchmal ist es nur eine Person pro Ereignis, manchmal sind es auch mehrere. Von sehr vielen Opfern kennen wir die Namen leider nicht», erklärt Projektleiterin Isabelle Schreier von der «offenen kirche bern».

Die Namen der Opfer und die Todesumstände werden seit letztem Jahr in sogenannten «Büchern der Erinnerung» festgehalten. Schreier hat beim Zusammennähen der Stofffetzen mitgewirkt. Noch immer berührt sie die Liste. «Jedes Mal, wenn ich sie öffne, überwältigt mich die schiere Länge der nicht enden wollenden Einträge», sagt sie. «Die Liste erinnert mich jedes Mal wieder daran, wie wertvoll unsere Arbeit ist, gerade wenn man spätabends noch draussen ist und Zettel aufhängt.»

Für Schreier ist die Sichtbarmachung der tödlichen Fluchtschicksale ein zentrales Anliegen. Ihr ist es wichtig aufzuzeigen, dass die Thematik eine ganz neue Dimension gewinnt, wenn man sich den Einzelschicksalen zuwendet. «Es gibt nämlich existenzielle Gründe, wenn man keinen Ausweg mehr sieht und sich in ein unsicheres Boot setzt, um übers Meer zu fliehen.»

Für die Projektleiterin ist es in erster Linie Aufgabe der Politik, aber auch der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft, nach Lösungen zu suchen. Die Abschottung auf beiden Seiten des Mittelmeers habe bisher nur zur Entstehung neuer unsicherer Fluchtrouten geführt.

Hinweis: Harte Schicksale per Motorsäge aus Holz geschnitten