Brückenbauer: (v.l.) Samson Kidane, Inaam Al Lahham, Dr. Fana Asefaw, Kaser al Asaad, Abdelwahab Mohammed und Ron Halbright, Co-Präsident von NCBI. Foto: Sebastian Schafer

«Brückenbauer». Ein Bericht zum Flüchtlingssonntag

15.06.2016

Die Organisation NCBI Schweiz fungiert als «Brückenbauer»: sie engagiert sich für die Integration eritreischer und syrischer Flüchtlinge.

Samson Kidane erzählt seine Geschichte. Er erzählt sie schnell, sachlich, als würde er irgendein Protokoll vorlesen. das Protokoll einer Flucht.
Grenzüberschreitung von Eritrea in den Sudan. Dann die Weiterreise nach Libyen, zu dritt, es wurde gesagt, die Reise sei einfach… Fehlinformation. 30 Personen in einen Pickup-Truck gepfercht, tagelange Fahrt durch die Wüste. Das Wasser ist fast aufgebraucht, die Männer strecken es mit Benzin. Immer in der Gefahr, von Menschenhändlern überfallen zu werden. Von Benghazi nach Tripolis in einem Container hinten auf einem Lastwagen, 24 Stunden Fahrt, viele werden ohnmächtig. Im Hafen von Tripolis umsteigen auf ein Flüchtlingsboot. Die Polizei sucht nach illegalen Migranten, wenn man erwischt wird, wird man zurückgeschickt. Dann die Fahrt übers Meer, ein schrottreifer Kahn, ein Spiel mit dem Leben von über 50 Menschen. Von Syrakus dann in den Norden, immer auf der Flucht vor der Polizei, via Mailand, Samson will eigentlich nach England, weil er dort Freunde hat, die ihm helfen könnten, vielleicht auch nach Norwegen oder Deutschland… Es sollte anders kommen, der Eritreer landet in der Schweiz. Einem Land, von dem er, wie fast alle seine Landsleute, nichts weiss. In dem alles so vollkommen anders ist als in seiner Heimat.

Samson Kidane ist einer von jährlich 40 000 (2015) Geflüchteten aus Eritrea. Sie kommen nach Europa auf der Flucht vor Unterdrückung, Verfolgung, Armut und Gewalt. Und betreten eine unbekannte Umgebung, mit einer fremden Sprache, fremden Kultur und fremden Gesellschaft. Es wird erwartet, dass sie sich integrieren, anpassen, arbeiten und sich möglichst problemlos in die Gesellschaft einfügen: ohne die Sprache zu können, ohne zu wissen, wie diese völlig unbekannte Welt funktioniert. An diesem Punkt setzt die Arbeit von NCBI Schweiz an. Die Organisation engagiert sich für eritreische und syrische Flüchtlinge und unterstützt deren Integration. Das Besondere dabei ist: Betreut werden die Asylsuchenden oft von Eritreern oder Syrern, welche vor wenigen Jahren selber geflüchtet sind.

Dr. Fana Asefaw, eine zierliche Frau mit langen Locken, hat selber eritreeische wurzeln. Aufgewachsen ist sie aber in Deutschland. Zusammen mit Samson Kidane und anderen Mitarbeitenden von NCBI präsentierte sie die Organisation Anfang Juni im Rahmen der jährlichen Generalversammlung in der Pfarrei St. Josef in Köniz. Sie weiss, wie schwer es den Flüchtlingen fällt, sich in der Schweiz einzufinden: Hauptgrund ist die Sprachbarriere, welche es zu überwinden gelte. Es werde den Asylsuchenden aber alles andere als leicht gemacht, in der Schweiz Halt zu finden. Die Menschen seien nach dem Leid und dem Trauma der Flucht dringend darauf angewiesen, anzukommen, Heimat zu finden. Stattdessen werden sie in Asylheimen untergebracht, ohne Kontakt mit der hiesigen Gesellschaft, oft monatelang, in Ungewissheit über ihren Aufenthaltsstatus. Zudem könnten die Asylsuchenden, welche nur die vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung F besitzen, keine Sprachkurse besuchen und sich so nicht einmal ansatzweise integrieren.

NCBI will dem entgegenwirken. Beispielsweise in Zusammenarbeit mit der Autonomen Schule Zürich. Die selbstorganisierte und unabhängige Schule bietet unentgeltliche Sprachkurse auch für Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung an. Das Angebot findet regen Zulauf, und viele ehemalige Schüler bieten mittlerweile selber Deutschlektionen an. Abdelwahab Mohammed zum Beispiel: Der syrische Rechtsanwalt kam vor zwei Jahren mit seiner Familie in die Schweiz, ohne ein wort Deutsch zu sprechen. Heute gibt er an der Autonomen Schule selber Deutschkurse für syrische Flüchtlinge. Ebenfalls von NCBI Schweiz auf die Beine gestellt wurde das Eri-Info Zentrum in Zürich. Das Projekt wird vom Kanton unterstützt. Beraten werden die Leute von Fachpersonen, aber auch von 15–20 jungen Eritreern, welche schon eine weile in der Schweiz leben.
Die sogenannten «Brückenbauer » vermitteln Informationen und leisten wichtige Arbeit, kulturelle Schranken zu überwinden.

Samson Kidane ist angekommen. Wie viele andere hat er eine Stelle gefunden, eine Wohnung. Aber nicht allen Asylsuchenden geht es gleich. Viele stecken perspektivelos in Asylheimen fest, politische Parteien wollen die Integration ständig weiter erschweren, das Budget für Integrationsmassnahmen soll weiter gekürzt werden. Es sind noch viele Brücken zu bauen.

Sebastian Schafer

NCBI «National Coalition Building Institute» Schweiz ist ein konfessionell und parteipolitisch neutraler Verein. NCBI setzt sich ein für den Abbau von Vorurteilen, von Rassismus und Diskriminierung jeglicher Art sowie für Gewaltprävention und konstruktive Konfliktlösung.
Kontakt Bern: Andi Geu, Leiter NCBI Bern, Schwanengasse 9, 3011 Bern, Tel. 031 311 55 09, www.ncbi.ch