Marianne Künzle, Uns Menschen in den Weg gestreut, Zytglogge Verlag 2017, 352 Seiten, Fr. 36.–

Buch - Der Kräuterpfarrer

07.06.2017

«(Brombeerblätter) wirken auch bei durchfallgeplagten Bürolisten-Rindern, Mode-Ziegen und selbst bei gekrönten Hornochsen»

«(Brombeerblätter) wirken auch bei durchfallgeplagten Bürolisten-Rindern, Mode-Ziegen und selbst bei gekrönten Hornochsen».

Wie Kneipp ist Johann Künzle ein Begriff. Pfarrer, Verfechter einer ganzheitlichen Medizin, Wegbereiter der modernen Pflanzenkunde. Nachauflagen seines 1911 erschienenen Buches «Chrut und Uchrut» finden sich noch heute in Buchhandlungen.
Marianne Künzle, Namensvetterin, aber nicht verwandt, begleitet in ihrem Roman diesen charismatischen und umtriebigen Naturfachmann durch die Jahre 1910–1922. Chronologischen Puzzleteilen gleich, skizziert sie in den ersten Kapiteln Künzles verschiedene Betätigungsfelder und Charakterzüge: Naturbeobachtungen in der Kindheit, Pfarrstelle und Seelsorge in Wangs bei Sargans, geduldiger Umgang mit Kindern und Tieren, gelegentliche Wutausbrüche, Engstirnigkeit, unbändiger Wissensdrang, Kauzigkeit ...
Über allem steht der Schöpfergott, der Amtskirche gebührt Gehorsam. Künzles Leidenschaft aber brennt dafür, den Menschen an Leib und Seele helfen zu können. Man lernt ihn als Publizisten mit spitzer Zunge kennen, selbstbewusst als Unternehmer beim Vertrieb seiner Schriften und Kräuter, beim Ankurbeln des Kurtourismus, grosszügig spendend, bescheiden lebend.

Während die Spanische Grippe 1918/19 weltweit Millionen Opfer fordert, stirbt in Wangs niemand – wegen eines von Künzle verordneten Tees ... Spätestens da verdichten sich schwelende Konflikte, münden in die fesselnde Handlung um die politische Debatte, ob Nichtmediziner wie er als Kräuterheilkundler Alpenrepubliküberhaupt praktizieren dürfen.
Zitate aus Originaldokumenten belegen den verletzten Stolz der Ärzteschaft, die Skepsis und Zurückhaltung der Kirche, Verleumdung und offene Anfeindung. Künzle erscheint nun nicht ausschliesslich als der überlegen Handelnde, sondern wird nahbar gezeichnet durch seine Verletzlichkeit, Resignation und den wieder- gewonnenen Mut, seiner eigentlichen Berufung zu folgen.

Andrea Huwyler

Marianne Künzle, Uns Menschen in den Weg gestreut, Zytglogge Verlag 2017, 352 Seiten, Fr. 36.–