Hubert Wolf, Krypta. Unterdrückte Traditionen der Kirchengeschichte. C. H. Beck, München 2015, 231 Seiten, Fr. 28.40
Buch - Krypta
Vom Volk gewählte Bischöfe
Tief unten in den Kellern der Kirchengeschichte, verborgen selbst für die meisten Historiker, liegen jahrhundertealte Traditionen begraben, von denen die Kirche heute nichts mehr wissen will. Der Kirchenhistoriker und Theologe Hubert Wolf steigt mit archäologischem Spürsinn hinab in diese Krypta. Er entdeckt dort Frauen mit bischöflicher Vollmacht, Laien, die Sünden vergeben, eine Kirche der Armen – und andere Traditionen, die heute wieder aktuell werden könnten. Man reibt sich bisweilen ob solch «modernen» Tendenzen, die tief in der Geschichte der katholischen Kirche vergraben sind, verwundert die Augen.Die katholische Kirche setzt auf die lange und unabänderliche Tradition ihrer heute gültigen Einrichtungen und Regeln. Grundlegende Reformen gelten als Sakrileg. Höchste Zeit für einen frischen Blick auf die Geschichte: Päpste waren einmal in Gremien eingebunden, die sie kontrollierten, Frauen konnten Sünden vergeben, Laien hatten etwas zu sagen, Bischöfe wurden gewählt. Die katholische Kirche war lange ein breiter Strom mit vielen Nebenarmen – den der römische Zentralismus im 19. Jahrhundert kanalisierte. Dazu wurden Traditionen erfunden, an die bis heute selbst Historiker glauben. Hubert Wolf enthüllt an zehn Beispielen Vergessenes und Verdrängtes – und gewinnt daraus Reformideen für die Kirche von morgen. Er bezieht sich dabei auf jenen Papst, der gegen «gräuliche Missbräuche» der Kurie wetterte. Dieser Papst war der Reformer Hadrian VI., der Anfang des 16. Jahrhunderts nach einer kurzen Amtszeit grandios gescheitert und früh gestorben ist. Was müsste heute Papst Franziskus besser machen als sein Vorgänger? Kirchenhistoriker Wolf gibt sich in Interviews gelassen: «Für sein Reformprogramm muss er weder mit der Tradition der Kirche brechen noch etwas neu erfinden, sondern lediglich bewährte Modelle aus dem vergessenen oder verdrängten Schatz der Kirchengeschichte hervorholen.» Dafür bietet der Autor eine faszinierende Materialsammlung. Sie sei zum Lesen empfohlen.
Andreas Krummenacher/com