Die Ökumene hilft, den eigenen katholischen Weg zu finden, und stärkt die Sozialkompetenz der Menschen. Annelise Camenzind. Foto: Pia Neuenschwander
«Da ist Zukunft drin.»
Ökumene ist in Langnau im Emmental kein leeres Wort. Gemeindeleiterin Annelise Camenzind im Portrait.
Ökumene ist in Langnau im Emmental kein leeres Wort. Auch kein verstaubtes. Sie lebt, ist noch in vielen Facetten frisch. Sie beruht auf geduldiger Aufbauarbeit.
Annelise Camenzind steht seit bald sieben Jahren als erste Frau der Gemeindeleitung der katholischen Pfarrei Heilig Kreuz Langnau vor. «Der Emmentaler», erzählt Annelise Camenzind, «hat laut Gotthelf lange Mühe mit Neuem. Er braucht Zeit. Wenn dieses Neue sich ihm aber erschliesst, dann bleibt er überzeugt und treu dabei. Das habe ich auch so erfahren.»
Zum zweiten Mal wurden in diesem Jahr die Katholiken zum Allianz-Gottesdienst in der Woche der Einheit der Christen eingeladen mitzufeiern. Die Allianz vereinigte bisher evangelische Freikirchen mit der reformierten Landeskirche. «Kontakte zu den Katholiken bestanden schon früher, Gespräche und ein Kennenlernen brauchen eben Zeit», bestätigt Annelise Camenzind. 5% der Bevölkerung in der Region Langnau sind katholisch.
Die Reformierten der Landeskirche sind in der grossen Mehrheit. Obwohl die reformierte Schwesterkirche in der Überzahl ist, brauchen die anderen Kirchen heute nicht um Gehör zu kämpfen. Im 17. Jahrhundert war das noch anders.
Die jahrzehntelange Verfolgung der Täufer durch die reformierte Landeskirche spielte eine prägende Rolle. Da gehörten die ökumenischen Beziehungen zu den Katholiken nicht zur ersten Priorität. «Vor über 50 Jahren fand ein Katholik in Langnau nur eine Arbeit, weil seine Frau reformiert war. Damals spielten die Konfessionen noch eine Rolle.
Diese strenge Unterscheidung ist heute überwunden», betont Annelise Camenzind. Dazu wesentlich beigetragen hat das Sternsingen, dieser ökumenische Grossanlass, der 1998 von beiden Kirchen mit dem damaligen Dorfarzt gegründet und mittlerweile zur Dorftradition geworden ist.
Letztes Jahr feierte der Brauch sein 20-jähriges Bestehen. Viel Volk kommt jeweils am 6. Januar zusammen, um mit den Sternsingern, den als Könige und Hirten gekleideten Jugendlichen des Dorfes, die Weihnachtsgeschichte zu erleben und den Segen in die Häuser zu bringen. Jugendliche aus allen Konfessionen singen und spielen zusammen und beflügeln damit ihre Familien mit ökumenischem Geist.
Rund zwölfmal im Jahr, so Camenzind, organisieren die reformierte und katholische Kirchen gemeinsame Gottesdienste und kulturelle Anlässe. Seit vier Jahren feiern die beiden Kirchen zudem die Osternacht ökumenisch: «Zwei Osterkerzen mit demselben Sujet werden am Osterfeuer entzündet und nach der Feier in die jeweilige Kirche getragen. Diese Kerzen sind ein weiteres schönes Zeichen unserer gemeinsamen Wegstrecke.»
Hermann Kocher, reformierter Pfarrer von Langnau und Amtskollege von Annelise Camenzind, arbeitete elf Jahre im luzernischen Eschholzmatt. Dort waren die reformierten Gläubigen mit 10% Anteil in der ähnlichen Minderheit. «Diese Erfahrungen sind sicher auch ein guter Nährboden für das gegenseitige Verständnis», betont Camenzind und erzählt, dass eine reformierte Pfarrerin, die nicht mehr in Langnau arbeitet, ihre Masterarbeit über das ehemalige Benediktinerkloster Trub geschrieben hat: «Auch die Vergangenheit verbindet», lacht Camenzind.
Ein schönes Zeichen setzten die Reformierten auch, als Bischof Felix Gmür, zu dessen Bistum das Emmental gehört, in Langnau einen Gottesdienst feierte. Die reformierten Geschwister strichen kurzerhand ihren Sonntagsgottesdienst und feierten mit dem katholischen Bischof. Die Gemeindeleiterin erinnert sich: «Er predigte eindrücklich über die Ökumene vor Ort. Die Atmosphäre war sehr herzlich.»
Dazu beigetragen hat auch, dass Bischof Felix im Altersheim neben der Kirche spontan eine betagte Katholikin besuchte. «Das hinterliess im Dorf einen nachhaltigen Eindruck», so Camenzind. Begegnungsort sei nicht mehr nur der Gottesdienst, sondern das Miteinander im Dorfleben, wie das Sternsingen eindrücklich zeige. Oder der gemeinsame Einsatz für die Flüchtlinge. Die Kirchen stellen Räume und Geld zur Verfügung. Viele Freiwillige engagieren sich für die Würde der Asylsuchenden. «Die Sozialkompetenz im Dorf ist hoch», meint Camenzind, «unser ökumenischer Geist trägt dazu bei. Da ist Zukunft drin».
Wie sieht es aber innerkatholisch aus? Stehlen ihr die Priester nicht die Show und schwächen ihre Befähigung als Frau in der Kirche? „Seit wir drei Priester im Pastoralraum haben, was ja heute eher selten ist, wuchs der Wunsch nach mehr Feiern der Eucharistie wieder stärker. Ich fühle mich als Gemeindeleiterin voll akzeptiert, will mich aber nicht gegen die Bedürfnisse unserer Gläubigen stellen. Andererseits gibt es auch Gläubige, die kommen extra von Marbach um bei uns eine Kommunionfeier zu besuchen.
Ich schätze Papst Franziskus sehr. Ich stelle nach all meinen Berufsjahren in der Kirche aber fest, dass ein konservativer Papst wie Benedikt eher die liberalen Gläubigen stärkt, ein liberaler Papst wie der gegenwärtige Franziskus eher die konservativen. Es findet an der Basis eine Art Ausgleich statt“. Offenheit, persönliche Begegnung und Achtsamkeit seien in der ökumenischen Arbeit das Rezept, sagt Camenzind, das gelte auch für die innerkatholische Seelsorge. Das Bild von Kirche werde sich weiter verändern.
Jürg Meienberg