Der ehemalige Generalsekretär der Römisch Katholischen Zentralkonferenz (RKZ) ist der Mr. Synode der Schweit. Foto: zVg

Daniel Kosch: «Das duale System ist nur ein Schritt zur synodalen Kirche»

Die Schweizer Kirche ist stolz auf ihr duales System. Doch diese Machtteilung allein mache die Kirche nicht synodal, schreibt Daniel Kosch in seinem Essay. «Eine Schwäche des dualen Systems besteht darin, dass es auf dem Prinzip beruht, dass Geld demokratisch verwaltet wird, während die Hierarchie für den Geist zuständig ist. Das synodale Prinzip hingegen lautet: Alle haben den Geist empfangen und die Mitverantwortung aller prägt das kirchliche Leben samt der pastoralen Weichenstellungen.»

 

Daniel Kosch*

Die Vision einer «Chiesa sinodale» ist untrennbar mit dem Reformprojekt von Papst Franziskus verknüpft. Schon in einer kurzen Ansprache an die Kardinäle vor seiner Wahl sprach er von einer Kirche, die aufgerufen ist, «aus sich selbst heraus […] und an die Ränder zu gehen […] an die Grenzen der menschlichen Existenz […] Wenn die Kirche nicht aus sich selbst herausgeht, um das Evangelium zu verkünden, […] wird sie krank». Die Kirche hat «aus der Anbetung Jesu Christi […] an die existenziellen Enden der Erde zu gehen. […] Dies muss ein Licht auf die möglichen Veränderungen und Reformen werfen, die notwendig sind für die Rettung der Seelen.» Dies setze «in der Kirche kühne Redefreiheit voraus» [1].

Zutiefst spirituelle Erneuerung

In späteren Äusserungen konkretisierte der Papst diese Vision mit der bildhaften Rede von der Kirche als «Feldlazarett» [2], und vom Bischof, der bisweilen «hinter dem Volk hergehen […soll…], weil die Herde selbst ihren Spürsinn besitzt, um neue Wege zu finden» (EG 31). Zudem plädierte er für eine «heilsame Dezentralisierung» (EG 16), betonte den unfehlbaren Glaubenssinn des Gottesvolkes (EG 119), und übte pointierte Kritik am Klerikalismus, der das Volk Gottes «verurteilt, trennt, frustriert und verachtet». Er sei «eine Perversion und die Wurzel vieler Übel in der Kirche» [3].

Für Franziskus ist «Synodalität» der Weg, diese faszinierende Vision in den kirchlichen Strukturen zu verankern und die «Pathologie der kirchlichen Macht» zu überwinden. Es geht um eine radikale, zutiefst spirituell motivierte Erneuerung, welche die Strukturen von innen her aufbricht und transformiert.

Ohne die Unzulänglichkeiten, Halbherzigkeiten und Widersprüche in der Konkretisierung auszublenden, bin ich überzeugt, dass es sich weiterhin lohnt, diesen Reformimpuls aufzunehmen [4].

Synodale Weg geht weiter

Die katholische Kirche in Deutschland hat das Programmwort von Papst Franziskus, der synodale Weg sei «genau […] das, was Gott sich von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet» [5], in einer Situation der Krise aufgegriffen. Angesichts der Erschütterung über das Ausmass des sexuellen Missbrauchs und seiner Vertuschung, und aufgrund der Einsicht in die systemischen Ursachen dieses massiven Leitungsversagens erkannten die Bischöfe, dass es das Gebot der Stunde ist, das pyramidal-hierarchische Kirchenbild synodal zu transformieren.

Gemeinsam mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken beschlossen sie ein synodales und sehr transparentes Vorgehen, legten Themen fest, definierten Strukturen, Prozesse und einen Zeitplan. Auch wenn Verbesserungen immer möglich sind, hat der Synodale Weg für synodale Prozesse in demokratischen Kontexten meines Erachtens Modellcharakter, zumal er die Machtfrage nicht nur thematisiert, sondern schon durch die für den Weg selbst definierten Strukturen für die Teilung und Kontrolle von Macht sorgt.

Zwischen Frankfurt und Rom

Für die katholische Kirche in der Schweiz – «zwischen Frankfurt und Rom» – hätten sich viele einen eigenen synodalen Prozess gewünscht, der sich von den beiden Reformprojekten inspirieren lässt und gleichzeitig den schweizerischen Besonderheiten Rechnung trägt. Der Weg ist allerdings anders verlaufen [6]. Weder eine tiefgreifende spirituell motivierte synodale Reform im Sinne des Papstes noch ein strukturiertes synodales Vorgehen, das von den deutschen Erfahrungen profitiert, wurden bisher in die Wege geleitet. Auch die Missbrauchskrise, welche die Kirche in der Schweiz im Herbst 2023 mit voller Wucht traf, führte nicht zur Einsicht, dass die den Missbrauch von Macht begünstigenden Strukturen mit dem Evangelium unvereinbar sind und dringend der Reform bedürfen.

Von der für eine «Erprobungsphase» von fünf Jahren eingesetzten «Synodalitätskommission» hat Urs Brosi, Generalsekretär der RKZ, zu Recht festgehalten, dieses Gremium laufe «ohne Entscheidungsbefugnis […] Gefahr, an Irrelevanz zu sterben» [7]. Und der gute Bericht, den die Bischofskonferenz im Hinblick auf die kommende Synodensitzung nach Rom geschickt hat [8], hat hierzulande de facto weder einen starken Rückhalt noch stiess er auf Resonanz.

Vielzahl autonomer Strukturen

Blickt man aus der Vogelperspektive auf die katholische Kirche in der Schweiz, ist deren auffälligstes Merkmal wohl die Vielzahl und Kleinteiligkeit weitgehend autonomer Strukturen. Das hängt mit der kulturellen Vielfalt, dem Föderalismus und der Gemeindeautonomie zusammen. Die Kirchgemeinden, kantonalkirchlichen Organisationen, aber auch die Bistümer sind sehr eigenständig, legen grössten Wert auf ihre Unabhängigkeit. Viele können sich dies auch finanziell leisten. Sich auf schweizerischer Ebene in synodalen Prozessen konkret und verbindlich auf eine gemeinsame Marschrichtung zu verständigen, ist daher anspruchsvoll. Es setzt intensive Überzeugungsarbeit und Verständigungsbereitschaft voraus.

Kaum Dynamik auf nationaler Ebene

Der Preis dafür, dass man diesen Weg nur sehr zögerlich beschreitet, ist hoch: Die Kirche nimmt die nationalen Herausforderungen nur sehr beschränkt wahr. Sie wird von der Öffentlichkeit auf nationaler Ebene nicht mehr als gestaltende Kraft wahrgenommen und hat keinerlei Plan, wie sie mit der dramatischen Entkirchlichung umgehen will. Kirchturmdenken und Rückzug ins eigene Gärtchen (oder Schneckenhaus) scheinen zuzunehmen. Während Papst Franziskus und die Weltsynode die Bischofskonferenzen stärken möchten [9], verstehen die Schweizer Bischöfe ihre Konferenz als blosse «Plattform» für den «brüderlichen Austausch» (Bischof Felix Gmür) [10]. Und die Kantonalkirchen zwingen die RKZ, ihre finanziellen Beiträge für gesamtschweizerische pastorale Aufgaben zu reduzieren, statt die Kirchgemeinden davon zu überzeugen, dass es gerade jetzt Solidarität auf nationaler Ebene braucht.

Trotz ihrer Kleinteiligkeit  sind die vor allem in der Deutschschweiz existierenden demokratischen staatskirchenrechtlichen Strukturen ein wichtiger Anknüpfungspunkt für eine synodale Kirche [11]. Sie beteiligen die Kirchenmitglieder basisnah an wichtigen Entscheidungen, führen zu einer Teilung von Macht, rechtsstaatlichen Prinzipien in Teilbereichen des kirchlichen Lebens, finanzieller Transparenz und Rechenschaftspflicht. Solange das Kirchenrecht so ist, wie es ist, und alle wichtigen Entscheidungen der zuständigen, stets männlichen und geweihten Autorität vorbehält, bleiben diese Strukturen im Hinblick auf eine synodale Kirche überlebenswichtig.

«Synodal» muss mehr sein als «dual»

Gleichzeitig muss «synodal» mehr sein als «dual» [12] – und dies in dreifacher Hinsicht.

  1. Eine Schwäche das dualen Systems besteht darin, dass es auf dem Prinzip beruht, dass Geld demokratisch verwaltet wird, während die Hierarchie für den Geist zuständig ist. Das synodale Prinzip hingegen lautet: Alle haben den Geist empfangen und die Mitverantwortung aller prägt das kirchliche Leben samt der pastoralen Weichenstellungen.
  2. «Synodal» muss auch deshalb mehr sein als «dual», weil synodale Prozesse von der Absicht geleitet sind, gemeinsam zu unterscheiden, worin der Wille Gottes in der je konkreten Situation besteht. Das impliziert für staatskirchenrechtliche Gremien weit mehr als die Eröffnung von Sitzungen mit einem spirituellen Impuls, geht es doch auch um die Frage, was sich aus dem Evangelium für Konsequenzen für den Einsatz finanzieller Mittel und die Prioritätensetzung ergeben, wenn gespart werden muss.
  3. «Synodal ist mehr als dual» heisst, dass die Mitentscheidungsrechte aller Angehörigen der Kirche nicht mehr nur im Staatskirchenrecht verankert sind, sondern im kirchlichen Recht, und dass diese kirchenrechtliche Mitverantwortung nicht hinter jener im dualen System zurückbleiben darf, sondern über diese hinausgehen muss. Erfreulicherweise lässt das Instrumentum Laboris für die Zweite Sitzung der Synode erkennen, dass es Überlegungen gibt, Beteiligung an Entscheidungen, Transparenz und Rechenschaftspflicht auch im Kirchenrecht zu stärken [13].

Kann eine Monarchie synodal werden?

Damit bin ich bei einem zentralen Konflikt, der im Hintergrund vieler Auseinandersetzungen rund um die Vision einer synodalen Kirche steht. Die strittige Frage lautet:


— Kann eine synodale Kirche weiterhin ein monarchisch-patriarchales System sein, in dem geweihte Männer die Letztverantwortung tragen und die Beteiligung von Getauften davon abhängt, ob mächtige geweihte Männer dies wollen und ausgewählten Frauen und Männern zugestehen?


— Oder muss eine synodale Kirche eine demokratisch-geschwisterliche Kirche sein, in der alle Getauften kraft ihrer Menschen- und ihrer Taufwürde eigenberechtigt an Entscheidungen beteiligt sind?

Gewaltenteilung tut Not

Für ein solches, demokratisch-geschwisterliches Verständnis von Synodalität hat das Zweite Vatikanische Konzil zwar wichtige theologische Grundlagen gelegt, ist aber strukturell beim monarchisch-patriarchalen Kirchenmodell geblieben. Ohne eine tiefgreifende Reform des Kirchenrechts inklusive seines Verständnisses der Stellung der Frauen in der Kirche, des Papst- und Bischofsamtes ist eine wirklich synodale Kirche nicht zu haben. Der deutsche Synodale Weg hat dieses Problem erkannt. Im Grundtext zu «Macht und Gewaltenteilung in der Kirche» [14] steht:


«Wir setzen uns […] dafür ein, das geltende Kirchenrecht so zu ändern, dass ein der Kirche angemessenes, in der eigenständigen Würde jeder getauften Person begründetes System von Gewaltenteilung, Entscheidungspartizipation und unabhängiger Machtkontrolle begründet wird» (Nr. 57).

Man braucht nicht Prophet zu sein, um vorauszusagen, dass die Synode im Herbst keinen solchen Sprung nach vorn vorschlagen wird. Auch gilt es einzugestehen, dass weder ein demokratisch-synodales Kirchenrecht noch die Frauenordination der Kirche jene schmerzhaften Umbrüche ersparen werden, deren Ursache der gesellschaftliche Wandel ist. Soll Synodalität in schweizerischen Kirchenstrukturen trotzdem nicht zur Worthülse verkommen, sondern zur Chance werden, sind meines Erachtens vier Aspekte wichtig:

Synodalität – spirituell

Gott hat seine Kirche und seine Welt nicht verlassen, er ist uns nahe und spricht zu uns durch sein Wort, durch die Zeichen und die Krisen der Zeit, durch gläubige und ungläubige Menschen, durch die Arme und Entrechtete – und ja: auch durch sein Schweigen und die Erfahrung seiner Abwesenheit. Eine synodale Kirche muss daher eine Kirche der «hörenden Herzen» sein, die auch der Stille und dem Unverfügbaren Raum gibt, und die Sehnsucht nach dem lebendigen Gott ins Zentrum stellt, «dem Geheimnis, das alles schweigend umfasst» (Karl Rahner).

Synodalität – demokratisch

Der demokratische Kontext, in dem wir leben, wie auch das Evangelium, das unterschiedslos allen die Freiheit, die Würde und die Verantwortung der Kinder Gottes zuspricht, verlangen eine Kirche, in der Macht geteilt, jeglicher Diskriminierung eine Absage erteilt und nicht nur finanzielle, sondern auch pastorale Fragen gemeinsam beraten und entschieden werden.

Synodalität – synodal

In den fragmentierten schweizerischen Kirchenstrukturen und angesichts der Tatsache, dass es in der Schweiz zwar synodale Ereignisse, Papiere und Kommissionen, aber bisher keinen strukturierten synodalen Prozess gibt, ist «synodale Synodalität» ein Plädoyer für einen im Wortsinn synodalen Weg, der prozesshaft, partizipativ und verbindlich gestaltet wird und nicht auf punktuelle Ereignisse und disparate Initiativen beschränkt bleibt.

Synodalität – konkret

Normen und Vorgaben, die der Freiheit und Würde der Kinder Gottes im Wege stehen, können schon hier heute durch konkrete Reformschritte überwunden werden. Nur so kann die Kirche – wie es in einem der Schweizer Synodenhochgebete heisst – zum «Ort der Wahrheit und der Freiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit» werden, wo «die Menschen neue Hoffnung schöpfen».

Ein konkretes Beispiel wäre das Eingehen auf die nicht nur von der RKZ, sondern von vielen Seelsorgenden unterstützte Forderung, «dass das partnerschaftliche Leben – abgesehen von den zum Zölibat verpflichteten Personen – weder anstellungs- noch kündigungsrelevant ist» [15]. Damit wäre der Tatbeweis erbracht, dass die Bischöfe es mit dem Slogan «Wir sind ganz Ohr» ernst meinen, und dass mehr ortskirchliche Autonomie möglich ist, schon bevor in Rom das Kirchenrecht und der Katechismus umgeschrieben werden.

* Dieser Essay erschien zuerst auf feinschwarz.net. Das «pfarrblatt» veröffentlicht ihn als Gastbeitrag.

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[1]Der Text ist zugänglich unter: http://paterberndhagenkord.blog/die-kirche-die-sich-um-sich-selber-dreht-theologischer-narzissmus/.
[2]Antonio Spadaro, Antonio, Das Interview mit Papst Franziskus. Herausgegeben von Andreas R. Battlogg, Freiburg i. Br. 2013, S. 47.
[3]Vgl. Rafael Luciani, Unterwegs zu einer synodalen Kirche. Impulse aus Lateinamerika, Luzern 2022, S. 31f.
[4]Vgl. dazu Daniel Kosch, Synodal und demokratisch. Katholische Kirchenreform in schweizerischen Kirchenstrukturen, Luzern 2023, 379-409.
[5]Papst Franziskus, Ansprache zur 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode am 17. Oktober 2015.
[6]Vgl. dazu Kosch, Synodal (Anm. 4), S. 449-457, sowie Helena Jeppesen-Spuhler, Synodal und demokratisch. Die Weltsynode aus schweizerischer Perspektive, in: Herder Korrespondenz 2024/9, 23f.
[7]Vgl. Urs Brosi, Eine synodale Erprobungsphase, in: Schweizerische Kirchenzeitung 191 (2023), S. 190–191 sowie das Statut der Synodalitäskommission.
[8] Vgl. «Schweizer Echo auf die erste weltkirchliche Synodenversammlung 2023» vom 13. Mai 2024.
[9]Vgl. Generalsekretariat der Synode, Wie wir eine missionarisch-synodale Kirche sein können. Instrumentum Laboris für die zweite Sitzung, Nr. 96 mit Verweis auf EG 32.
[10]Vgl. dazu «Wir brauchen einander». Gemeinsame Medienmitteilung von SBK und RKZ vom 11. Juni 2021.
[11]Vgl. dazu Kosch, Synodal (Anm. 4), S. 410-438.
[12]Vgl. dazu Daniel Kosch, «Synodal» ist mehr als «dual». Stärken und Entwicklungsbedarf der schweizerischen Kirchenstrukturen auf dem Weg zu einer synodalen Kirche: IR-Paper 5/April 2022.
[13]Vgl. Generalsekretariat der Synode, Kirche (Anm. 9), Nr. 67-79.
[14]Büro des synodalen Weges (Hg.), Grundtext «Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag» (Der Synodale Weg Nr. 3), Bonn 2022, abrufbar unter: www.synodalerweg.de/beschluesse.
[15]Vgl. die Mitteilung des Präsidiums der RKZ vom 29. September 2023.