Sandro Hofer (rechts) und Gerhard Zürcher suchen den niederschwelligen Dialog, im Alltag und in hocheskalativen Situationen. Foto: Pia Neuenschwander
«Das AC/DC-Konzert war ein Zückerli»
Unterwegs mit dem Dialogteam der Berner Polizei
Seit fast 20 Jahren gehört Sandro Hofer zur Berner Polizei. Seit 2012 ist er auch im Dialogteam im Einsatz, um Konflikte mit niederschwelliger Kommunikation zu entschärfen oder zu verhindern.
Von Anouk Hiedl
«Bei der Fussball-EM 2008 kamen wir zeitlich und personell an die Grenzen unseres Aufgebots. So suchten wir Wege, um Gewaltspiralen anders als mit einem Wettrüsten zu begegnen und riefen 2012 die Dialoggruppe ins Leben», berichtet Sandro Hofer. Einen wichtigen Anstoss dafür gab die Beobachtung, dass «die vordersten unserer Leute, die bei Demos den Verkehr regeln, in der Regel nicht aufs Dach bekommen. Rundherum fliegen mitunter Steine oder Bauabschrankungen, doch ihnen passiert selten etwas.» Zu den Dialogteams gehören heute über 60 regionale Polizeimitarbeitende im Nebenamt.
«Im Alltag sind alle Polizist:innen dialogisch unterwegs. Man verteilt nicht immer gleich Bussen, manchmal reicht eine Mahnung», erklärt Sandro Hofer. Bei Interventionen mit aufgesetztem Helm und Schutzschild ist es sehr anspruchsvoll, gleichzeitig auch noch mit dem Gegenüber den Weg des Gesprächs zu suchen. So werde Dialogarbeit heute bei Situationen, die eskalieren können, explizit auf spezialisierte Polizist:innen übertragen. Dialog bedeute nicht bloss reden. «Wir hören auch zu, nehmen die Bedürfnisse und Ängste des Gegenübers, beispielsweise Fans oder Demonstrierenden, auf und lassen sie ausreden.»
Ruhig Blut
Die Aufgabe des Dialogteams sei es, das Gespräch zu suchen und bei kleineren Verfehlungen im Ermessungsspielraum der Polizei zu handeln und statt repressiv tätig zu sein, den Dialog zu suchen bzw. zu ermahnen. «Wenn man zu zweit in Menschenmengen geht oder einer Gruppierung gegenübersteht, wird man als Individuum, als Mensch, wahrgenommen, und es kommt kein Faustschlag oder Stein geflogen. Je brisanter eine Situation ist, desto näher gehen wir an die Menschen heran.» Bei Konflikten könne man unter anderem beschwichtigen oder vermitteln. «Indem wir mit den Menschen reden, lässt sich schon vieles entschärfen.» Trifft Sandro Hofer während einem Einsatz auf einen Betrunkenen, der ins Spital müsse, spreche er auch mit dessen Kolleg:innen, frage nach, informiere oder erkläre, wie es nun weitergehe. Manchmal müsse man auch deutlicher werden, bestimmter formulieren oder mit einem Handzeichen «Stopp» signalisieren. «Oder man muss mal eingreifen, jemanden anhalten oder festnehmen.» Dialogpolizist:innen sind regulär mit Pfefferspray, Handschellen, Mehrzweckstock und Dienstpistole unterwegs, denn «wenn eine Situation eskaliert, müssen wir als Polizisten handeln.»
Bei Sport- oder Grossveranstaltungen, Demonstrationen und Menschenansammlungen mit hohem Gefahrenpotential steht der Ordnungsdienst mit Helm und Schutzschild im Hintergrund. Kommt er zum Einsatz, zieht sich das Dialogteam zurück und hält dem Ordnungsdienst den Rücken frei. «Ist die Situation entschärft, kommen wir wieder zum Zug.»
Sandro Hofer erinnert sich an Fussballfans aus dem Ausland, die bei Spielen daheim ein Polizeiaufgebot von weit über tausend Personen gewöhnt seien. «Hier treffen sie auf einen Bruchteil davon und fallen aus allen Wolken, wenn wir sie ansprechen. Sie verstehen das nicht – und schon sind wir im Gespräch. Das ergibt spannende Begegnungen, bei denen man unter Umständen über Gott und die Welt diskutiert oder auch mal für ein Selfie posiert.» Ein weiteres «Zückerli» war für Sandro Hofer das AC/DC-Konzert von 2016 im Berner Wankdorfstadion. «Wir nahmen vor und nach dem Konzert nur je eine Person wegen unanständigem Benehmen bzw. Sachbeschädigung infolge von Trunkenheit fest.»
Kaum Grenzen
Schwierig werde es mit allen politischen, extremistischen oder autonomen Gruppierungen, die den Dialog mit der Polizei als Vertreter des staatlichen Gewaltmonopols ablehnten. Genau solche Herausforderungen findet Sandro Hofer spannend: «Man kann nicht nicht kommunizieren», zitiert er den Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick. «Alles ist Kommunikation, selbst wenn jemand nicht mit mir reden will.» Es gelte, die Situation auszuhalten, präsent zu bleiben und nicht nachtragend zu sein. Wenn die Kommunikation dann doch zustande komme, sei man da. An seine Grenzen kommt der 42-Jährige bei dieser Arbeit fast nie, weil er die Grenzen suche und herausfinden will, «wie man doch noch einen Weg finden kann. Dafür war ich einmal mehr als 23 Stunden am Stück im Einsatz – mein Maximum.»
Das braucht’s
Nebst guten kommunikativen Fähigkeiten müssen Dialogmitarbeitende schlagfertig, ausdauernd, bereit für Neues sein und den Dialog mit Andersdenkenden suchen. Alle sind langjährige Polizist:innen, die ihr Metier, die Gegebenheiten und die Bevölkerungsstruktur vor Ort kennen und sich in Psychologie und Kommunikationstechniken weitergebildet haben. «Wenn man auf dem Bundesplatz im Lautsprecherauto 5000 Personen auf einmal anspricht, treibt das den Puls in die Höhe.»
Im Bereich Dialogarbeit gehört die Berner Polizei zu den Pionieren. Wichtig sei, authentisch, ehrlich und transparent zu kommunizieren, dem Gegenüber sein Verhalten zu spiegeln und zu zeigen, wenn einem etwas nicht passt. Bei Frust und Wut verbalisiere man, dass nicht die Person, sondern ihr Verhalten oder eine Situation dies auslöse. «Ein guter Abschied ist eine Rückversicherung, dass mein Umgang gut war, oder auch, wenn mir jemand nach einer Busse Merci sagt», berichtet Sandro Hofer. Er ist überzeugt, dass alle Menschen das Gute für sich zum Ziel haben – «nur der Weg dorthin ist sehr verschieden.»