Flüchtlinge aus Kiew kommen im Bahnhof Lviv an, sie reisen weiter nach Westeuropa. Es ist die am schnellsten wachsende Flüchtlingskrise überhaupt. Foto: Reuters, Marko Djurica
«Das geht mir nahe»
Privatpersonen im Kanton Bern wollen ukrainische Flüchtlinge aufnehmen
Die ersten Menschen, die wegen des Kriegs aus der Ukraine geflüchtet sind, haben die Schweiz erreicht. Die Solidarität ist gross: Private bieten zehntausende Betten an. Darunter ein Physiker und ein Pfarrer – sie erläutern ihre Beweggründe.
Von Marcel Friedli
«Der Osten», sagt Simon Eugster, «ist mir nahe. Darum geht mir der Krieg in der Ukraine nahe.» Der 52-jährige Physiker aus Muri bei Bern hat sich auf einen Aufruf via Social Media gemeldet: Als einer von vielen ist er bereit, Menschen aus dem Kriegsgebiet bei sich wohnen zu lassen. Zudem hat er diese Bereitschaft auch bei der Gemeinde sowie beim Kanton deponiert.
Die zwei ältesten Töchter von Simon Eugster sind ausgezogen. Mit seiner jüngsten Tochter wohnt er in einem geräumigen Einfamilienhaus mit Garten. «Wir haben Platz», sagt er, «diesen Platz bieten wir Menschen an, die ihn nötig haben.» Er bietet vier Menschen eine Wohngelegenheit.
«Kultur ist mir vertraut»
Knapp vier Jahre war Simon Eugster vor Ort: im Süden Russlands – an der Grenze zur Ukraine – sowie in Moskau, wo er in der Schweizer Botschaft arbeitete. «Aufgrund dieser Erfahrungen», erzählt Simon Eugster, «beherbergen wir immer wieder Gäste aus dieser Region. Ich fühle mich den Menschen dort nahe, ihre Kultur ist mir vertraut.»
Simon Eugster weiss, dass es kein Kinderspiel ist, Menschen bei sich aufzunehmen, die Schreckliches gesehen und erlebt haben. «Ich bin mir bewusst, dass dies eine grosse Herausforderung ist. Ich spreche jedoch immerhin ihre Sprache. Kann ihnen zuhören und versuchen, sie zu trösten und sie bei der Suche nach professioneller Hilfe zu unterstützen, falls dies gewünscht ist.»
Er überschätze sich nicht, sagt Simon Eugster. «Ich kenne meine Grenzen und bin krisenresistent. Mein Angebot ist keine Flause, sondern ernst gemeint.»
Ein temporäres Zuhause
Spontan zugesagt, Menschen aus dem Kriegsgebiet aufzunehmen, hat auch Pfarrer Michael Stähli aus Köniz. Nicht, weil er Pfarrer sei und Betroffenheit und Nächstenliebe quasi zum Jobprofil gehören. «Dass auch heute noch Menschen gezwungen werden, ihren Wohnort zu verlassen, weil Menschen sich bekriegen: Das ist für mich unfassbar!»
Darum verwandelt er das Büro des Pfarrhauses in der unteren Etage, mit separatem Bad, in Wohnraum für zwei Personen. Zum Beispiel für eine Mutter mit Kind. Dass der Krieg damit ein noch deutlicheres Gesicht bekommt, noch näher rückt, ist dem Pfarrer bewusst. «Ich bin kein Traumatherapeut», weiss er, «alles, was ich bieten kann, ist ein Dach über dem Kopf: ein vorübergehendes Zuhause. Sicherheit und etwas zu essen.»
Das ganze Pfarrhaus parat
Eine offene Frage ist die Verständigung: «Ich kann weder Russisch noch eine andere slawische Sprache», sagt Pfarrer Michael Stähli. «Auch dies müsste geklärt werden: Es braucht Menschen, die übersetzen.»
Überhaupt geht Michael Stähli davon aus, selber bei diesem Engagement auf Unterstützung von Behörden oder einer Organisation zählen zu können. «Falls es konkret wird, benötigen wir jemanden mit Know-how und Erfahrung.»
Von Mai bis Ende Juli stellt Michael Stähli das ganze Pfarrhaus zur Verfügung. Denn dann weilt der Pfarrer mit seiner Familie in Kanada.
Private sind erste Wahl
Angebote von Privaten seien «erste Wahl und sehr willkommen»: Das sagt Manuel Haas, Leiter Abteilung Asyl und Flüchtlinge des Kantons Bern, auf Anfrage des «pfarrblatt». Bald seien Beauftragte der Flüchtlingshilfe in den Bundesasylzentren, um die Vermittlung in die Wege zu leiten. In einer Datenbank würden alle Angebote festgehalten.
Die Anzahl der Flüchtlinge aus der Ukraine werde vermutlich sehr gross sein, sagt Manuel Haas weiter. «Wir haben momentan nicht derart viele Plätze in oberirdischer Reserve.»
Die Reserven seien in der Regel unterirdisch. «Und das ist gerade für Frauen mit Kindern sehr ungünstig.»
Zurzeit gibt es im Kanton Bern laut Manuel Hass rund 200 freie zumutbare Plätze, die der Kanton Bern zur Verfügung stellt. «Wir sind mit Hochdruck daran, weitere Wohngelegenheiten zu aktivieren.»
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