"Entscheidender Weg der Umkehr in der katholischen Kirche." Nicolas Betticher. Foto: Pia Neuenschwander
Das Gewissen ernst nehmen
Papst Franziskus und die Familiensynode
Der Reformdruck auf die Familiensynode wächst – Papst Franziskus vereinfacht Verfahren zur Ehenichtigkeit. Ein Bericht von Thomas Jansen, Rom, und eine Einordung von Nicolas Betticher, Offizial des Interdiözesanen kirchlichen Gerichts.
Kurz bevor Bischöfe aus aller Welt im Vatikan über Reformen im kirchlichen Umgang mit Ehe und Familie beraten (4. bis 25. Oktober), hat Papst Franziskus die erste Reform bereits vorweggenommen: Er ordnete drastisch vereinfachte und verkürzte Wege zur Feststellung der sogenannten Ehenichtigkeit an. Jedes Jahr werden weltweit zehntausende Ehenichtigkeitsverfahren angestrengt – zuletzt waren es 2013 gut 33000; etwa die Hälfte davon allein in den USA, in Deutschland waren es nur 671. Lediglich 44 Verfahren wurden 2013 in der Schweiz eingeleitet; 2009 waren es 56, 2010 67.
Nicht nur in den USA, sondern auch in Polen (3274) oder Italien (2614) ist das Verfahren viel verbreiteter als in Deutschland und der Schweiz. Papst Franziskus begnügt sich jedenfalls nicht mit kosmetischen Eingriffen in das Kirchenrecht. Die Einführung eines drastisch verkürzten Prozesses, der binnen Wochen abgeschlossen werden kann und vom Bischof anstelle von Kirchenrichtern geführt wird, ist eine tiefgreifende Veränderung. Ein solches Verfahren soll künftig dann möglich sein, wenn beide Partner damit einverstanden sind und die Nichtigkeit der Ehe offensichtlich ist.
Der Papst selbst ist sich der Tragweite seiner Reform bewusst. Er wisse, dass ein derart verkürzter Prozess das Prinzip der Unauflöslichkeit der Ehe infrage stellen könne, schreibt er in einer Einleitung. Deshalb habe er diese Verfahrensform dem Ortsbischof vorbehalten. Die Barmherzigkeit erfordere es, dass die Kirche auch diesen Menschen nahe sei. Und so tritt denn der Erlass auch am 8. Dezember in Kraft, an dem das Heilige Jahr der Barmherzigkeit beginnt.
Auch die Rolle der betreffenden Paare wertet der Papst auf. Ihre persönliche Überzeugung von der Nichtigkeit ihrer Ehe erhält grösseres Gewicht. Unter Kirchenrechtlern ist die Vereinfachung der Ehenichtigkeitsprozesse nicht unumstritten. In Rom spriessen derweil unter Beobachtern die Spekulationen: Ist diese Reform von Franziskus vielleicht der Königsweg, um Geschiedenen, die eine zweite Verbinsung dung eingegangen sind, den Zugang zur Kommunion zu eröffnen, ohne gleichzeitig die Verteidiger der geltenden Sakramenten-Lehre gegen sich aufzubringen?
Thomas Jansen/kath.ch
Platz für den Heiligen Geist
Nicolas Betticher, seit dem 12. September Pfarrer der Pfarrei Bruder Klaus Bern, ist Offizal des Interdiözesanen kirchlichen Gerichts in der Schweiz. Wie ordnet er die neue Verordnung ein?
Die neuen Bestimmungen des Papstes überraschten viele, auch ihn, sagt Nicolas Betticher. Das Wesentliche der Vereinfachung seien aber nicht die juristischen Änderungen, sondern das Ernstnehmen der betroffenen Paare und des menschlichen Gewissens. «Beim Sakrament der Ehe sind drei beteiligt», erklärt Betticher: «Braut und Bräutigam und Gott». Der Priester ist Werkzeug Gottes. Die Eheleute schenken sich das Ja-Wort, das von Christus zum Sakrament erhoben wird. Das ist die Lehre der Kirche. Der Papst nehme nun die Freiheit des Gewissens ernst. «Niemand besser als die Eheleute selbst wissen, wie es um ihren Bund steht. Wenn sie gemeinsam überzeugt sind, dass ihre Ehe aus ernsten Gründen nicht gültig geschlossen wurde, sollen sie das mit ihrem Ortsbischof besprechen können.»
Dieser kann nach dem neuen kurzen Verfahren bei Einigkeit und keinen grundsätzlichen Einsprachen des Ehebundverteidigers die Ehe auflösen. Beide Partner können in der Folge wieder heiraten und die Kommunion empfangen. Ob das nun der Königsweg für Geschiedene ist oder nicht, «damit könnte dieses Thema an der Familiensynode vom Tisch sein», sagt Offizial Betticher. Er rechnet damit, dass in der Schweiz nach der Einführung vor allem Angehörige der verschiedenen anderssprachigen Missionen diese neuen Möglichkeiten ergreifen werden. Natürlich sei damit die Schwierigkeit einprogammiert, dass die Bischöfe je nach ihrer Ausrichtung liberaler oder konservativer entscheiden werden. Auch für sie gelte: das Gewissen ist frei. Kritiker des neuen Erlasses ahnen schon Willkür, so Betticher weiter, andere hätten moniert, dass der Papst selber autoritär und nicht synodal entschieden habe im Sinne von «Roma locuta, causa finita». Hätte er eine breite Vernehmlassung durchgeführt, wären nicht viele so überrascht worden, aber das hätte den ganzen Entscheidungsprozess hinausgezogen.
Wichtig ist, dass der Papst dezentralisiert: das heisst, dass er den Bischöfen die Entscheidungsbefugnis anvertraut. Das Vorgehen des Papstes überzeuge ihn: «denn jetzt kann er seine zentralen Themen in die Familiensynode besser einbringen – die Familie als kleinste Zelle der Kirche, ihr soziales Umfeld und ihre Herausforderungen in der heutigen Zeit der Globalisierung.» Bei allen anstehenden Fragen wie zum Beispiel der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften stehe für den Papst das Evangelium im Zentrum und damit die Barmherzigkeit, aber auch die Freiheit und unsere Aufgabe dem Heiligen Geist zuzuhören. «Er führt die Kirche. Sie gehört nicht uns, sondern Gott. Auch damit hat Franziskus ein deutliches Zeichen gesetzt. Er sagt seinen Bischöfen: Kämpfen wir nicht gegeneinander, sondern packen wir den Kern unseres Auftrages an.» Die römisch-katholische Kirche geht für Betticher heute einen entscheidenden Weg der Umkehr. Diese vollziehe sich langsam, aber stets: «Die grossen Völkerbewegungen, die Flüchtlinge, die Migranten, die Bekämpfung der Armut, der interreligiöse Dialog und die Weitergabe des Glaubens sind die wesentlichen Fragen.» Der Papst schaffe für diese Fragen und Herausforderungen mit seinen Reformen Platz: «Er schafft Platz für den Heiligen Geist, das ist grossartig.»
Jürg Meienberg