Rund 215 Katholik:innen nahmen an den Debatten in Frankfurt teil. Foto: Maximilian Lachner/Synodaler Weg
«Das ist ein Auftrag, Macht zu teilen»
Daniel Kosch zum Synodalen Weg in Deutschland
Daniel Kosch war vom 3.-5. Februar als Beobachter beim Synodalen Weg in Frankfurt. Der Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz reist mit Impulsen für die Schweiz zurück.
Interview: Raphael Rauch
Vor gut zwei Wochen hat das Münchner Missbrauchsgutachten ein Beben ausgelöst. Spürten Sie das auf dem Synodalen Weg in Frankfurt?
Daniel Kosch*: Ja, die Lage für die Kirche in Deutschland ist sehr ernst. Die Bischöfe haben erkannt: Die Kirche in Deutschland befindet sich in einer existenziellen Krise. Ein Bischof sagte mir: «Es droht eine Implosion.» Die Glaubwürdigkeit ist schwer beschädigt. Die Attraktivität der Kirche als Arbeitgeberin leidet. Die kirchenamtlichen Positionen sind kaum mehr vermittelbar und werden nicht nur von Seelsorgern und Theologinnen, sondern auch von der Kirchenleitung kritisiert. Aber nach den Weichenstellungen in Frankfurt bin ich überzeugt: Egal, was am Ende Rom aus dem Synodalen Weg macht – es ist jetzt schon ein Punkt erreicht, hinter den man jetzt nicht mehr zurückkann.
In der Schweiz ist diese Stimmung nicht zu spüren. Liegt das daran, weil die Säkularisierung in der Schweiz stärker fortgeschritten ist?
Auch in der Schweiz haben wir massive Probleme. Mich hat erschreckt, wie wenig Menschen an der «Wir sind Ohr»-Umfrage im Bistum Chur mitgemacht haben. Nur 2 bis 3 von Tausend Katholikinnen und Katholiken haben sich daran beteiligt. Das ist ein Alarmsignal, auf das wir reagieren müssen. Es genügt nicht, die Umfrage auszuwerten – es gilt, auch das dröhnende Schweigen und die Nicht-Beteiligung von vielen Mitarbeitenden, Gremien- und Behördenmitgliedern sehr ernst zu nehmen.
Was war für Sie in Frankfurt der wichtigste Moment?
Dass der Text über «Macht und Gewaltenteilung in der Kirche» angenommen wurde. Das ist ein definitives Ergebnis des Synodalen Wegs und ein Auftrag, Macht anders zu kontrollieren und in synodalen Strukturen zu teilen. Mehr als 80 Prozent der Synodalen und mehr als zwei Drittel der Bischöfe haben sich mit ihrer Ja-Stimme für strukturelle Reformen stark gemacht.
Wegen des dualen Systems ist die kirchliche Macht in der Schweiz bei den Finanzen in den meisten Kantonen bereits geteilt. Kann sich die Schweiz zurücklehnen?
Nein, denn die demokratische Kontrolle der Finanzen beruht auf dem Staatskirchenrecht – und nicht auf dem eigenen Willen der Kirche. Ein Gedankenspiel: Wenn die öffentlich-rechtliche Anerkennung wegfiele, dann wären die entscheidenden partizipative Elemente mit einem Schlag weg. Der starke Föderalismus in der Schweiz ist aber sicher ein Vorteil: Viele Entscheidungen fallen in der Schweiz unten und helfen, dass die Bischöfe nicht übersteuern können. Trotzdem fehlen synodale Strukturen und Prozesse, auch auf nationaler Ebene.
Wie bewerten Sie die Beratungen des Synodalen Weges zur Frauenfrage?
Hier ist noch nichts entscheiden. Der Synodale Weg strebt die Zulassung von Frauen zu Weiheämtern an. Ob alles, was jetzt für die zweite Lesung vorbereitet werden kann, am Ende auch die nötigen Mehrheiten findet, ist offen. Was intelligent aufgezogen ist: Es liegt erstens ein guter Grundlagentext vor. Es gibt zweitens einen pragmatischen Handlungstext, das den Frauendiakonat auf der Basis des geltenden Kirchenrechts anstrebt, nämlich mit Hilfe eines «Indults», also einer Ausnahmeregelung. Und drittens gibt es einen Handlungstext, in dem es um die grundsätzliche Zulassung der Frauen zum sakramentalen Amt geht. Es ist nicht nur bei den Bischöfen, sondern auch bei anderen Mitgliedern der Synodalversammlung spürbar, dass manche zwar Entwicklungen wollen, aber keinen Bruch mit dem Bisherigen und keinen Paradigmenwechsel. Die Ausgangslage mit den drei unterschiedlichen Dokumenten gibt einen gewissen Spielraum für differenzierte Lösungen und vermeidet eine Ausgangslage, bei der am Ende nur «alles oder nichts» möglich ist.
Welche Impulse aus Frankfurt liessen sich in der Schweiz konkret umsetzen?
Ich denke an den Handlungstext zu Segensfeiern für Paare, die sich lieben. Diese Segensfeiern betreffen übrigens nicht nur Homosexuelle, sondern alle Menschen, die nicht vor den Traualtar treten dürfen oder wollen. Wir könnten auch in der Schweiz offizielle liturgische Formen hierzu erarbeiten. Auch bei der Frage nach der Beauftragung oder nach dem Entzug der «missio» für Seelsorgende, die sich zu einer kirchenrechtlich «irregulären» Lebensform bekennen, haben wir einen mit Deutschland teilweise vergleichbaren Handlungsbedarf. In der Diskussion zum entsprechenden Text haben mehrere deutsche Bischöfe diesen explizit anerkannt und entschiedene Änderungen gefordert.
An welches konkretes Beispiel denken Sie noch?
Als Konkretisierung des Themas «Macht und Gewaltenteilung» wurde ein Text zur Mitwirkung des Volkes Gottes bei den Bischofswahlen verabschiedet. Er ist so verfasst, dass Veränderungen möglich sind, ohne das Konkordat oder das Kirchenrecht ändern zu müssen, damit die Umsetzung vor Ort direkt angegangen werden kann. Das Thema könnten wir auch in der Schweiz wieder anpacken. Die Synode 72 hat sich dafür ausgesprochen und die Römisch-Katholische Zentralkonferenz hat dazu schon während der Krise im Bistum Chur unter Wolfgang Haas einen Expertenbericht erstellen lassen. Darauf könnten wir zurückgreifen. Welcher Schaden über die Bistumsgrenzen hinaus entsteht, wenn ein Bischof keinen Rückhalt im Kirchenvolk hat oder dieses spaltet, wissen wir leider nur zu gut.
In der Schweiz werden vier Sprachen gesprochen. Einzelstimmen behaupten: Der Synodale Weg in Deutschland hätte mit der Realität in der Schweiz nichts zu tun.
Kardinal Reinhard Marx hat mir gesagt: Der Synodale Weg wird in der Weltkirche wahrgenommen, die deutsche Kirche steht in Rom unter Beobachtung. Umso wichtiger ist die internationale Vernetzung. Dann wird schnell klar: Es gibt nicht den Sonderfall Schweiz, den Sonderfall Deutschland, sondern auf allen Kontinenten ist die Kirche in Bewegung. Es gibt zum Glück nicht nur viele Wege nach Rom, sondern auch viele Wege zu einer synodalen Kirche.
Welches Signal erwarten Sie von der Schweizer Bischofskonferenz?
Wenn die Berichte und Ergebnisse der Diözesen zum synodalen Prozess vorliegen, geht es darum, eine schweizerische Synthese zu produzieren. Ich hoffe, dass es nicht nur ein Papier für Rom gibt, sondern auch eine Festlegung der Themen, mit denen wir hier in der Schweiz weiterarbeiten müssen. Was mir am Synodalen Weg in Deutschland gefällt: Hier werden die Themen gründlich erarbeitet. Entsprechend haben die Stimmen der Fachtheologinnen und -theologen erhebliches Gewicht. In der Schweiz neigen wir übermässig zum Pragmatismus. Viele scheuen die Herausforderung, die Arbeit und den anspruchsvollen Prozess, Positionen zu entwickeln, verbindlich zu formulieren und die erforderliche theologische Diskussion ernsthaft zu führen. Es lohnt sich, die Texte aus Deutschland zu lesen. Und ich hoffe, dass sie auch auf Französisch und Italienisch übersetzt werden.
Werden die Schweizer Bischöfe im Alleingang entscheiden, welche Ergebnisse des synodalen Prozesses nach Rom gehen?
Wir haben dieses Thema im Kooperationsrat besprochen, also zwischen Römisch-Katholischer Zentralkonferenz und Bischofskonferenz. Bischof Felix Gmür hat signalisiert, dass er uns miteinbinden will, zusammen mit Verbänden und jungen Leuten. Gleichzeitig muss es schnell gehen und das aufnehmen, was in den Bistümern erarbeitet wurde. Es soll also kein Prozess sein, der wieder bei Null beginnt. Die Bischofskonferenz sucht gerade nach einer Form, wie sie das gestalten und andere Stimmen einbeziehen kann. Eine Herausforderung wird sein, dass die Diözesen den synodalen Prozess recht unterschiedlich gestalten. Immerhin haben sich die Bistümer Basel, Chur und St. Gallen auf ein Vorgehen verständigt. Was aus den anderen Diözesen zu erwarten ist, weiss ich nicht. Aber ich bin recht zuversichtlich, dass die Bischöfe im synodalen Prozess realisiert haben, dass ein partizipatives Vorgehen zwar anstrengend ist, aber einen klaren Mehrwert bringt.
Bischof Joseph Bonnemain hat über den synodalen Prozess im Bistum Chur gesagt, die wirkliche Synodalität habe noch kaum begonnen: «Es geht um die Bereitschaft, ohne eine vorgefasste Position den Dialog zu suchen und durch die Stimme der Andersdenkenden gemeinsam und konsensuell schlussendlich die Wege Gottes zu erforschen und besser erschliessen zu können.» Wie sehen Sie das?
Ich finde auch, dass synodale Prozesse eine Phase des Hörens, des Abwägens, des Unterscheidens brauchen. Aber dann muss man auch voranschreiten und entscheiden. Es wird immer Menschen geben, die gegen etwas sind – und es bringt nichts, das dann zum 17. Mal in einem Forum hin- und herzukauen. Der Synodale Weg in Deutschland zeigt: Es ist möglich, zu Entscheidungen zu kommen. Was mir gut gefallen hat: Es gibt keinen Perfektionismus, sondern die Texte sollen «gut genug für jetzt» sein. Mit dieser Haltung kommen wir als Kirche voran. Jeder synodale Prozess in der Kirchengeschichte zeigt: Es gibt immer Leute, die sich zurückgelassen fühlen. Auch beim Zweiten Vatikanischen Konzil gab es unzählige Abstimmungen, auch Streit und Ringen um mehrheitsfähige Positionen – und trotzdem sind wir froh, dass es die Ergebnisse gibt und glauben, dass in all dem Gottes Geist am Werk war. Warum sollte es heute anders sein? (kath.ch)
* Daniel Kosch (63) ist promovierter Neutestamentler und Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ), dem Zusammenschluss der kantonalkirchlichen Organisationen. Er hat zusammen mit Bischofsvikar Georges Schwickerath als Beobachter am Synodalen Weg in Deutschland teilgenommen.
Die Vollerversammlung des Synodalen Wegs in Frankfurt debattierte vom 3. bis 5. Februar über eine moderne Sexualmoral, eine Neubewertung von Homosexualität, die Öffnung des Weiheamts für Frauen und die Lockerung des Pflichtzölibats. Die Texte wurden per Abstimmung zur weiteren Bearbeitung angenommen. Definitiv verabschiedet wurde ein Text zu einem anderen Umgang mit Macht. Zur Versammlung gehören alle 69 Bischöfe, 69 Mitglieder des Zentralkomitees der deutschen Katholik:innen (also Nichtkleriker:innen) und 92 weitere Vertreter:innen. Für die Beschlüsse ist eine Zweidrittelsmehrheit der Bischöfe nötig. Sie sind für die Weltkirche nicht verbindlich, können aber eine Signalfunktion für andere lehramtliche Instanzen haben. Die Arbeit geht nun in Foren weiter, die nächste Vollversammlung ist im September. sys