Abstimmungsparolen an Kirchtürmen sind bei der Gletscherinitiative kaum zu erwarten. Foto: evangelisch-reformierte Kirche Bern-Bethlehem, zVg
«Das katholische Volk ist widerständig»
Podium über das politische Engagement der Kirchen
Abstimmungsparolen an Kirchtürmen? Der Basler Bischof Felix Gmür, Renata Asal-Steger, Präsidentin der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz, und Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, stellten sich am Donnerstag auf einem Podium der Frage, wie weit das politische Engagement der Kirchen gehen darf. Die Kirchen zeigten sich selbstkritisch, verwiesen aber auch auf die Mündigkeit der Gläubigen. Für Lacher aus dem Publikum sorgte Bischof Gmür mit pointieren Voten.
Von Sylvia Stam
«Die Kirche soll sich in politische Debatten einmischen, jedoch keine Kampagne führen, die mit Steuergeldern finanziert wurde», stellte Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter – überzeugte Protestantin – gleich zu Beginn des Podiums klar. Die Kampagne sei überdies nicht demokratisch legitimiert gewesen, Pfarrpersonen hätten von oben herab bestimmt.
Anlass für das Podium im Politforum Bern war das Verhalten der Kirchen, die sich im Herbst 2021 stark für Konzernverantwortungsinitiative (KVI) engagiert hatten. Zum Podium eingeladen hatten die Römisch-Katholische Zentralkonferenz (RKZ)*, die Schweizer Bischofskonferenz und die Evangelisch-Reformierte Kirche Schweiz (EKS). Moderiert wurde die Diskussion von Thomas Göttin vom Politforum Bern.
«Ein guter Christ sagt Ja zur KVI»
Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz, Katholik und ehemaliger Ministrant, pflichtete Schneider-Schneiter bei. Bei der KVI, insbesondere bei den Flaggen an den Kirchtürmen, «da hat die Kirche übertrieben», so der Jungpolitiker. Als Kirchgänger habe er den Eindruck bekommen, als guter Christ könne man nur Ja sagen zu dieser Vorlage. Die Kampagne der Kirchen sei weder sachlich noch verhältnismässig noch transparent gewesen – drei Kriterien, an die sich öffentlich-rechtliche Institutionen bei Einmischungen in Abstimmungen halten müssten
Mit der Transparenz sprach er die Verwendung von Kirchensteuern insbesondere juristischer Personen an. Ein Anliegen, das die Jungfreisinnigen diverser Kantone schon mehrfach vergeblich bekämpft haben. «Wenn die Kirche politisch mitwirken will, muss sie sich selber finanzieren», so Müller. Statt zu politisieren, solle sich die Kirche vielmehr auf ihr Kerngeschäft – Seelsorge und Glaubensvermittlung – konzentrieren.
«Ich kann sagen, was ich will»
Ein Votum, das RKZ-Präsidentin Renata Asal-Steger nicht unwidersprochen liess. Es sei Auftrag der Kirchen, sich für soziale und ökologische Fragen einzusetzen. «Genau das war bei der Konzernverantwortung der Fall.» Die Kirche sei nicht nur Seelsorge, sondern auch Engagement für alle.
«Der Bischof von Basel ist nicht öffentlich-rechtlich anerkannt», stellte auch Bischof Felix Gmür insnesondere mit Blick auf den Jungfreisinnigen Matthias Müller klar, und erntete dafür Lacher aus dem Publikum. «Ich kann sagen, was ich will.» Dem Bischof missfiel die Grundsatzfrage «Dürfen die Kirchen das?» Das sei eine Kindergartenfrage. Die Pharisäer hätten Jesus solche Fragen gestellt, wenn sie ihm eine Falle stellen wollten. Zielführender sei aus seiner Sicht die Frage, ob ein politisches Engagement sinnvoll sei. Hier hatte Gmür eine auffallend klare Haltung: Kirche sei keine Partei, aber sie sei immer Partei, nämlich für die Menschen, für die niemand einstehe. Sonst erfülle sie ihren Auftrag nicht.
Ein Schritt zu weit
Selbstkritischer gab sich Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-Reformierten Kirche Schweiz. Mit den Bannern an den Kirchtürmen seien die Kirchen wohl tatsächlich einen Schritt zu weit gegangen. «Das war methodisch keine gute Entscheidung». Kritisch hinterfragt werden müsse wohl auch, wie Seelsorgende Stellung bezögen: «Es ist etwas anderes, ob eine Pfarrperson auf einem Podium oder von der Kanzel spricht.»
Gleichzeitig verteidigten sowohl die Kirchenvertreter:innen wie Stimmen aus dem Publikum die Mündigkeit der Gläubigen: «Das katholische Volk ist ziemlich widerständig», sagte Gmür mit einem Verweis auf die Umfrage zum Synodalen Prozess, die in seinem Bistum diese Woche zu Ende ging. «Ich lasse meinen Verstand nicht vor der Kirchentür liegen», bestätigte auch eine Frau aus dem Publikum in der Fragerunde.
Spendengelder oder Kirchensteuern?
Unklar blieb bis zuletzt bei der Frage nach der Finanzierung des Komitees «Kirche für Konzernverantwortung». Auf die Frage des «pfarrblatt», womit etwa die Website, die Argumentarien und Predigthilfen oder die Flaggen dieses Komitees finanziert worden seien, mutmassten alle drei Kirchenvertreter:innen, es müssten wohl Spendengelder sein. Weder die RKZ noch die EKS hätten Gelder gesprochen, und auf die einzelnen Kirchgemeinden hätten diese Gremien und der Bischof keinen Einfluss.
Handlungsbedarf sehen die Kirchenvertreter:innen denn auch weniger bei ihren Gremien als bei den Seelsorgenden: Diese müssten sich bewusst sein, in welcher Rolle sie handelten und was für einen Einfluss die Intensität ihres Engagements habe. Einig waren sich alle, dass die Kirche Räume schaffen soll für Diskussion und Meinungsbildung. Genau dies wollen Renata Asal-Steger und Rita Famos küftig denn auch ermöglichen. Mit Bilck auf die Gletscherinitiative, die nächstes Jahr vors Volk kommen dürfte, sagte Rita Famos: «Ich freue mich auf die Debatten!»
Hinweis: Aufzeichnung des Podiums «Kirchen und Politik kontrovers: Wie weit darf das Engagement gehen?» im Polit-Forum Käfigturn Bern, 2. Dezember
*Zusammenschluss der demokratischen, kantonalkirchlichen Organisationen. Hauptaufgaben sind Kirchensteuern und die Schaffung guter Voraussetzungen für das kirchliche Leben.