«Ja nicht auffallen.» Filip, einer der queeren Flüchtlinge aus dem Dokumentarfilm «Out of Uganda». / Foto: Peacock Film
Das Kreuz mit den Religionen
Queere Flüchtlinge aus Uganda
Theologe Josef Burri räumt auf mit pseudoreligiösen Begründungen, warum Homosexualität nicht gottgewollt sei: Im Buch «Jakobs Fluch» nimmt er kritische Stellen aus Bibel und Koran unter die Lupe. Zudem hat er einen Dokumentarfilm über queere Flüchtlinge aus Uganda gedreht.
von Marcel Friedli
«pfarrblatt»: Was hat Ihnen mehr Freude gemacht – die Arbeit am Buch oder am Film?
Josef Burri: Beides bedeutet mir gleich viel.
Was ist der Unterschied?
Einen Dokumentarfilm zu finanzieren und herzustellen, ist deutlich aufwändiger, als ein Buch zu produzieren. Im Film kommen einige der interviewten homosexuellen Flüchtlinge in Wort und Bild direkt vor; im Buch indirekt und anonymisiert.
Warum werden die Flüchtlinge im Buch nicht mit Namen erwähnt?
Vor allem aus rechtlichen Gründen. Wir haben die Gespräche und Interviews nicht in die Rechte für eine Buchpublikation eingeschlossen. In der Anfangsphase stand lediglich eine filmische Auswertung zur Diskussion. Die meisten Interviewten wollen sowieso anonym bleiben, weil sie negative Reaktionen aus ihrem Umfeld befürchten. Viele homosexuelle Flüchtlinge leben in der Schweiz nach dem Motto: ja nicht auffallen.
Was erhoffen Sie sich von den beiden Werken?
Ich hoffe, dass die Flüchtlingsthematik dadurch in der Öffentlichkeit präsenter wird. Aussenstehende haben meist kaum eine Ahnung von der prekären Situation queerer Flüchtlinge und ihrer Familien.
Wie oft ist bei queeren Flüchtlingen gemäss Ihren Erfahrungen die Religion das Problem?
Bei unseren Gesprächen haben wir wenn möglich den religiösen Hintergrund angesprochen. Religion – insbesondere Christentum und Islam – spielt oft eine Hauptrolle, wenn queere Menschen abgelehnt werden.
Haben Sie ein Beispiel?
Wenn ein ugandischer Prediger buchstäblich mit der Bibel in der Hand die Todesstrafe für Homosexuelle verlangt, dann schockiert das zutiefst. Denn es steht in so krassem Gegensatz zur christlichen und islamischen Botschaft. Mit Blick auf die Kirchengeschichte seit dem dritten und vierten Jahrhundert ist das aber keine Ausnahme.
Inwiefern?
Bibel und Koran zu politischen Zwecken zu missbrauchen, ist ein durchgängiges Muster. Das war zum Beispiel in der nachreformatorischen Zeit in Zürich und Genf regelmässig der Fall: Dutzende Menschen wurden wegen ihrer sexuellen Orientierung und Identität zum Tod verurteilt und hingerichtet – mit Verweis auf die Bibel, mit Rückendeckung durch die religiösen Autoritäten: Der Obrigkeit war daran gelegen, ihre Autorität abzusichern und aufmüpfige Personen abzuschrecken.
Warum kommt Ihrem Mann als Buddhist die Religion nicht in die Quere?
Der Buddhismus lehnt sexuelle Aktivität nicht ab. Auch ist es weitgehend unbekannt, sie aufzuspalten: in Sexualität zwischen Frau und Mann, die erlaubt ist, und in gleichgeschlechtliche Sexualität, die hingegen nicht erlaubt ist. In volksbuddhistischen Vorstellungen ist Sexualität unter Männern oder unter Frauen höchstens eine karmische Folge von früheren Verfehlungen. Diese Menschen sind gemäss dieser Ansicht eher zu bedauern als zu verurteilen.
Warum sind sie laut dieser Lesart zu bedauern?
Weil sie keine Nachkommen zeugen.
Jakobs Fluch, so der Titel Ihres Buches – wie können Bibel und Koran, wie kann Spiritualität zum Segen für gleichgeschlechtlich Liebende werden?
Ich wünsche uns allen, dass wir Bibel und Koran als eine Botschaft der Befreiung verstehen. Auch für gleichgeschlechtlich Liebende gilt: Das Gesetz ist für den Menschen da – nicht der Mensch für das Gesetz. Liebe ist eine Schöpfungsrealität – das Grundprinzip, auf dem alle menschliche Zuneigung beruht.
Linkes Bild: Innige Verbundenheit: Johannes, der Jünger, den Jesus liebte, an der Brust Christi. Statue aus dem Bodenseegebiet, um 1310. Foto: Josef Burri
Rechtes Bild: Verehrt: Sebastian gilt in der queeren Community als der Schutzheilige sexueller Minderheiten. Bild von Andrea Mantegna, um 1457. Foto: wikimedia commons
Buch und Film
«Quellentexte werden in monotheistischen Religionen und Gesellschaften missbräuchlich interpretiert.
Wer sich ohne Scheuklappen auf den Weg durch die Botschaft von Bibel und Koran macht, findet dort eine positive Haltung zur gleichgeschlechtlichen Liebe.»
So lautet die Kernbotschaft in Josef Burris Buch «Jakobs Fluch» (siehe Interview), das jetzt erhältlich ist. Parallel zum Buch erscheint der gut einstündige Dokumentarfilm «Out of Uganda ». Darin erzählen die beiden Protagonist:innen Lynn und Philip ihre Geschichte und wie es ihnen in der Schweiz geht.
Josef Burri und sein Team gehen zudem dem Ursprung von Homophobie nach. Der in Luzern geborene Autor und Filmemacher Josef Burri hat Theologie sowie Philosophie in Tübingen und in Fribourg studiert. Er hat als Journalist für Printmedien sowie fürs Schweizer Fernsehen gearbeitet und produziert Filme für Kino und Fernsehen. Zudem hat er eine Zeit lang die Website schwulengeschichte.ch betreut.
Jakobs Fluch
Der Titel des Buches von Josef Burri ist symbolisch. Er nimmt Bezug auf Jakobs Fluch über seine Söhne Simeon und Levi. Beide sind verantwortlich für den Mord an der männlichen Bevölkerung von Sichem. Levi ist der Stammvater der Leviten. Im Leviticus wird analer Geschlechtsverkehr zwischen Männern als todeswürdiges Vergehen gebrandmarkt – eine Passage, die tödliche Folgen für viele Homosexuelle hatte und hat. Der Fluch lastete auch auf Jakob selbst: Er hat dem Vater das Erstgeburtsrecht abgeluchst und muss anschliessend ins Exil. Nach Jahren der Arbeit für seinen Onkel wird ihm die vermeintlich weniger hübsche Schwester bei der Hochzeit untergeschoben, ohne dass er es merkt.
Einsatz für queere Flüchtlinge
Liebe ist ein Menschenrecht – für alle: Seit 25 Jahren arbeitet Queeramnesty in der Schweiz und weltweit für die Rechte von LGBTIQ+-Personen. Für diesen Zweig von Amnesty International Schweiz engagieren sich rund siebzig Ehrenamtliche; zum Beispiel im Schweizer Asylverfahren und mit Petitionen.
www.queeramnesty.ch
Buch: Josef Burri, Jakobs Fluch. Die Folgen von Bibel- und Korantexten für Homosexuelle, rex verlag, 2022. www.graypress.ch; jakobs-fluch@graypress.ch
Film: Out of Uganda, 2022. www.peacock.ch (Rubrik «Documentaries»)