Die Geschichte der röm.-kath. Untergrundkirche in der kommunistischen Tschechoslowakei ist facettenreich. Einfach Schubladisierungen greifen zu kurz. Foto: owik2 / photocase.de

Das Leben der «sterbenden Kirche»

15.08.2018

Niklas Zimmermann zeigt am Beispiel der Untergrundkirchen in der kommunistischen Tschechoslowakei, dass auch in schwierigsten Situationen der Glauben gelebt und gelehrt wurde.

In der kommunistischen Tschechoslowakei agierten Katholik*innen oft im Geheimen. Phänomene wie die Frauenordination prägen bis heute den Mythos einer revolutionären Kirche. Der genaue Blick zeigt jedoch: Das religiöse Leben im Verborgenen war vielfältig. Und die Grenzen zwischen Konservativen und Reformern verliefen nicht so eindeutig, wie es scheint.


Von Niklas Zimmermann*


Als «mutigen Kampf» bezeichnet der Schweizer Reformtheologe Erwin Koller die Aktivitäten von Felix M. Davídek (1921–1988). Dieser machte sich als «Untergrundbischof» im tschechischen Brünn einen Namen. Von Mitte der 1960er-Jahre bis zu seinem Tod führte er die Untergrundgemeinde Koinótés. Diese widersetzte sich gegen das kommunistische Regime, das die Kirchen in ihrer Tätigkeit behinderte.
Doch auch die politische Wende von 1989 bedeutete für die «Verborgene Kirche» keine Erlösung. Im Gegenteil: Die im Untergrund vorgenommenen Priesterweihen wurden von der Kirchenhierarchie für ungültig erklärt. Frauen und verheiratete Männer hatten wenig Chancen, ihre von Davídek verliehene Priesterwürde zurückzuerlangen**.

Für Koller ist diese Behandlung durch die katholische Weltkirche ein «Skandal». Im Rahmen der Herbert-Haag-Stiftung gab er vor sieben Jahren zusammen mit Hans Küng und dem Slowaken Peter Križan einen Sammelband heraus, der von einer «verratenen Prophetie» spricht.
Die Stossrichtung ist klar formuliert: Die Untergrundkirche sollte «ins Licht des geschichtlichen Bewusstseins» zurückgeholt werden. Und man forderte «Rechenschaft» von den Kirchenkreisen, die sie gedemütigt hätten.

Zurückhaltender klingt es bei Petra Preunkert-Skálová. Sie veröffentlichte vor zwei Jahren eine Monographie zur Ekklesiologie und Pastoral der «Verborgenen Kirche». Sie schreibt, sie möchte nicht «bilderstürmerisch» mit dem Mythos der reformfreudigen tschechischen Untergrundkirche aufräumen. Sehr wohl will die Theologin aber die Verschiedenheiten und eine gewisse «Unordnung» offenlegen.

Kurz: Sie möchte ein realistisches Bild zeichnen. Dabei fasst sie den kirchlichen Untergrund sehr weit und vergleicht zwei Strömungen, die im heutigen Tschechien wirkten. Eine ist die bereits vorgestellte Koinótés-Gemeinde von Felix M. Davídek, die bei vielen als «die» Untergrundkirche gilt. Diese im mährischen Landesteil beheimatete Organisation vergleicht Preunkert-Skálová mit dem Prager Kreis um Oto Mádr (1917–2011). Nachdem er 1968 als Priester nach Westböhmen strafversetzt wurde, liess er sich 10 Jahre später in den Ruhestand versetzen und kehrte nach Prag zurück. Anstatt sich aufs Altenteil zurückzuziehen, fing Mádrs Engagement aber erst richtig an. Er leitete den Aufbau zahlreicher, gegenüber dem Regime geheim gehaltenen Aktivitäten von Gläubigen.

Die Vordenker im Untergrund

Trotz allem Bemühen um Sachlichkeit: Am schillernden Brünner «Untergrundbischof» Davídek kommt keine Beschäftigung mit der «Verborgenen Kirche» in Tschechien vorbei. Auch Petra Preunkert-Skálová widmet den ersten Teil ihres Buches dem Denken und Handeln von Felix M. Davídek. Er war ein theologischer Freigeist, der Anregungen aus anderen Disziplinen einfliessen liess. Dazu gehörten Medizin, Biologie und Chemie genauso wie Anthropologie und Psychologie. Dabei suchte er angelehnt an den französischen Jesuiten Pierre Teilhard de Chardin eine Synthese aus Heilsgeschichte und Evolutionstheorie.

Davídek entwickelte eine Theorie, wie der Mensch durch eigene Leistung schneller die Erlösung erreichen kann. Systematisch war auch seine Philosophie des «Leitens», die er in der Pastoral seiner Koinótés-Gemeinde anzuwenden versuchte. Dabei handelte er nicht frei von Widersprüchen: Im Grundsatz lehnte Davídek blinden Gehorsam ab. Gleichzeitig war er sehr ehrgeizig und stellte hohe Ansprüche an seine Mitstreiter. Als er 1970 an einer Synode seiner Gemeinschaft die Frauenordination nicht durchsetzen konnte, tat er dies im bischöflichen Alleingang. Überhaupt wirkte Davídek eher klerikal, indem er im Untergrund die Kirchenhierarchie imitierte. Er berief sich auf einen kirchenrechtlichen Sonderfall, der in Notsituationen das eigenmächtige Handeln vor Ort erlaubte.

Im Vergleich zu Davídek gab sich der Prager Untergrundpriester Oto Mádr hierarchietreu. Er wollte keine Parallelstrukturen schaffen, sondern die offizielle Kirche aus dem Untergrund heraus unterstützen. Dafür arbeitete er auch eng mit dem damaligen Prager Erzbischof František Kardinal Tomášek zusammen. Durch seine Rhetorik, die als Aufgabe der Christen den «Kampf» und die Bereitschaft zum Märtyrertod sah, könnte man Mádr als katholischen Eiferer abtun.
Doch man muss wissen, dass er 15 Jahre lang im kommunistischen Gefängnis verbrachte. Und seine Theologie der «sterbenden Kirche» hatte es in sich: Sie war ein Appell, dass die Kirche trotz der Unterdrückung eben nicht stirbt. Dafür sollten sich die Gläubigen dezentral in Kleingruppen organisieren. Mádr trat nicht als Kirchenvater auf, sondern sah seine Rolle darin, die katholischen Aktivitäten im Verborgenen zu vernetzen.

Dazu gehörte ein katholisches Untergrundstudium in Prag und die sogar von ausländischen Gästen besuchten Wohnungsseminare. Dies passte zum pädagogischen Schwerpunkt Mádrs. Als Prinzip galt: Wer nicht im christlichen Ethos aufgewachsen ist, sollte durch intellektuelle Erkenntnis dazu finden. Diese sollte im Sinne einer «lebendigen Theologie» Orientierung nicht nur im Glauben, sondern im ganzen Leben geben. Das ist ein Unterschied zu Felix M. Davídek, der sehr stark das Feiern der Sakramente ins Zentrum des Gemeindelebens stellte.

Familiäre Atmosphäre

Ein Teilnehmer der Prager Wohnungsseminare war Miroslav Kunštát. Der Historiker hat Mitte der 1970er-Jahre über den Jugendkreis einer Pfarrei den Weg in diese Kreise gefunden. Als zwanglos und eher informell beschreibt er die Treffen, die meist in der Villa der Künstlerfamilie Brázda stattfanden. «Jeder hatte etwas zu Essen mitgebracht», erinnert sich Kunštát. Nur einmal störte eine Warnung vor der Staatssicherheit die Harmonie – und die Gäste flüchteten vorsorglich in den Garten.

Inhaltlich überwogen die religiösen Themen und die allermeisten Besucher waren praktizierende Christen. Neben einigen Untergrundpriestern unterrichteten auch herausragende tschechische Philosophen. So leitete Radim Palouš, einer der Sprecher der Dissidentenbewegung Charta 77, einen Vortragszyklus über die Bezüge von Glaube und Wissen. Den katholischen Untergrund-Vordenker Oto Mádr lernte Miroslav Kunštát dagegen erst später in den 1990er-Jahren kennen. Wohl aber erinnert er sich an die Devise, «lieber kleine Kreise» zu bilden. Und er spricht davon, dass es ein ganzes Netzwerk von Prager Wohnungen gab. Auch wenn man sich nicht zwingend als Teil einer Untergrundkirche verstand und der Brünner Kreis um Felix M. Davídek laut Kunštát als Splittergruppe galt: Es fand eine vielfältige katholische Vernetzung im Verborgenen statt.

Facettenreiche Geschichte

Was kann der ausländische Beobachter aus der Beschäftigung mit der tschechischen Untergrundkirche mitnehmen? Auf jeden Fall, dass es sich um ein Phänomen mit vielen Facetten handelte. Das spektakuläre Bild einer geheimen Kirche mit Untergrundbischöfen und katholischen Priesterinnen entsprach nur teilweise der Realität. So sehr es die Weltkirche nach 1989 an Sensibilität im Umgang mit ehemaligen Untergrundpriestern vermissen liess: Man sollte vorsichtig sein, die berechtigten Reformanliegen von heute durch eine frühere «Prophetie» zu legitimieren.

Zweifellos ist es aber die Frage, wie sich die Kirche in einer minoritären Position oder gar in der Unterdrückung verhält, ein sehr inspirierendes Thema. Die Kreise um Felix M. Davídek und Oto Mádr zeigten, wie man in schwierigsten Situationen den Glauben leben und kreativ mit dem christlichen Erbe umgehen kann. Dass die Entwürfe der beiden Vordenker gegenläufig waren, unterstreicht nur, dass es nicht den einen «richtigen» Weg gibt. Auch können die Beispiele dazu anregen, das Bild einer starren Zweiteilung von Reformern und Konservativen in der Kirche zu überdenken.



Zum Autor
*Niklas Zimmermann (28), der Historiker ist Doktorand an der Ludwig-Maximilians-Universität München und beschäftigt sich mit Religion in den tschechisch-deutschen Beziehungen nach 1945. Zuvor arbeitete er bei der Röm.-kath. Landeskirche in Bern. Als freier Mitarbeiter schreibt er für das «pfarrblatt» und den eigenen Blog (www.pragerblog.org).

Anmerkungen
**Einige verheiratete Priester konnten ihre Tätigkeit offiziell als griechisch-katholische Priester fortsetzen. Übrigens: nach der grossen Zunahme der uniirten Gläubigen aus der Ostslowakei und der Ukraine (nach der Wende) mussten die Zahlen der griechisch-katholischen Gläubigen erhoben werden. Heute gibt es in Tschechien auch eine kleine Anzahl der bi-rituellen griechisch-katholischen Priester, die verheiratet sind und eine römisch-katholische Pfarrei betreuen (z.B. in Bischofsteinitz/Horšovský Týn in der Diözese Pilsen).

Buchinweise

  • Koller, Erwin/Küng, Hans/Križan, Peter (Hg).:Die tschechoslowakische Untergrundkirche zwischen Vatikan und Kommunismus. Luzern 2011.
  • Liška, Ondřej: Jede Zeit ist Gottes Zeit. Die Untergrundkirche in der Tschechsolowakei. Leipzig 2003.
  • Preunkert-Skálová, Petra: «Die ganze Welt schaut zu, wie sie uns um Gott betrügen». Ekklesiologie und Pastoral der tschechischen Untergrundkirche, Ostfildern 2016.