Was gilt als männlich? Bilder von Männlichkeit unterliegen gesellschaftlichen Normen, sagt Theologe und Männerberater Christoph Walser. Symbolfoto: pixabay.com

Das Problem liegt unter der Haut

08.02.2024

Eine Tagung zu Sexualität und Spiritualität an der Paulusakademie

Missbrauch sollte im Zusammenhang mit Männlichkeitsbildern diskutiert werden, finden die Theologen Daniel Ammann und Christoph Walser. Sie laden daher zu einer Tagung in die Paulusakademie.

von Eva Meienberg*

Zehn Tage nach der Veröffentlichung der Pilotstudie zum sexuellen Missbrauch hat sich die Fachgruppe «Männerarbeit im kirchlichen Kontext» mit einem Communiqué zu Wort gemeldet. Ihr Mitgefühl und ihre Solidarität galt in erster Linie den Betroffenen, aber gleichzeitig warnten sie davor, das Entsetzen allein auf die Täter zu konzentrieren. Denn Täter und Taten seien untrennbar mit dem abgeschotteten patriarchalen System der Kirche verbunden, das für den Missbrauch den Nährboden bereitstelle.

Daniel Ammann und Christoph Walser zeichneten das Communiqué als Co-Leiter der Fachgruppe Sie setzen sich seit den 1990er Jahren mit dem patriarchalen System und dessen feministischer Kritik auseinander und finden Antworten und Ansätze aus männlicher Sicht.

Die männliche Perspektive

Die Stimme von Männern, die sich für die Kirche interessieren, fehle im Diskurs zum sexuellen Missbrauch. Zu hören seien fast ausschliesslich Stimmen von Klerikern, kritisierten Daniel Amman und Christoph Walser. Männer, die ihre Sexualität nicht lebten, sollten nicht über Menschen bestimmen, die dies tun.

Als reformierter Pfarrer und katholischer Seelsorger leisten die beiden kirchliche Männerarbeit an der Basis und vernetzen und beraten Fachleute in der kirchlichen Männer-, Väter- und Jugendarbeit.

Fünf Monate später findet nun eine Tagung zu Sexualität und Spiritualität in der Zürcher Paulus Akademie statt. Wo Sexualität und Spiritualität zusammenkommen, sehen die Organisatoren den fruchtbaren Boden für eine konstruktive Prävention gegen Missbrauch. Denn mit Richtlinien, Massnahmen und Sanktionen, wie sie in den Schutzkonzepten der Bistümer formuliert sind, sei es nicht getan.

Männlichkeitsbilder

«Das Problem liegt unter der Haut, in den Körpern der Menschen», sagt Christoph Walser im Gespräch. Die Bilder von Männlichkeit und die religiösen Prägungen haben die Menschen verinnerlicht. Er kritisiert, dass das Thema Missbrauch nicht in Zusammenhang mit Männlichkeitsbildern diskutiert wird.

Die Vorstellung, was männlich sei unterliege gesellschaftlichen Normen. Die Bilder von Männlichkeit und männlicher Sexualität gelte es zu dechiffrieren und alternative Erzählungen darüber zu diskutieren, sagt Christoph Walser.

Ideen zu einer neuen Perspektive auf die männliche Sexualität haben Daniel Ammann und Christoph Walser schon lange. 2013 haben sie am Männertag in Hertenstein (LU) ein «Sex Manifest» verabschiedet. Das beginnt damit, dass es den Mann als ein sexuelles Wesen ernst nimmt. Lust wird darin als Lebenskraft verstanden und sexuelle Erfüllung als Geschenk.

Die sexuelle Bildung als lebenslanger Prozess, dem der Einzelne und die Gesellschaft verpflichtet ist. Das Manifest endet damit, dass sich die Verfasser verpflichten, über Sexualität zu sprechen, damit so realistische Bilder männlicher Sexualität sichtbar werden.

Dieses Versprechen eingelöst hat Pierre Stutz in seinen Buchpublikationen. In seinem jüngsten Buch «Wie ich der wurde, den ich mag» erzählt er wie er sein Priesteramt 2002 niedergelegt hat und heute mit einem Mann verheiratet ist. An der Tagung in der Paulus Akademie wird sein Vortrag «Ich stehe nicht mehr zur Verfügung für eine Kirche der Angst» der biographische Zugang zum Thema sein.

Unterbrechung der sexuellen Entwicklung

Männer, die sich entschliessen, Priester zu werden, fällen ihren Entscheid in einer Phase ihres Lebens, in der sie am Anfang ihrer sexuellen Entwicklung stecken, sagt Christoph Walser. Sexologisch sei klar, dass die Unterbrechung dieses Prozesses negative Folgen habe. «Priester gelten als die spirituellen Spitzensportler.» An ihnen sollen sich alle Männer orientieren.

«Je weniger sexuell, umso spiritueller» sei das Motto der priesterlichen Sozialisation. Christoph Walser hat in seinen Seminaren erfahren, wie viele Männer –nicht nur Priester – dieses Bild von Männlichkeit in sich tragen und daran leiden.

Elke Pahud de Mortanges ist Dogmatikerin und befasst sich in ihrer Forschung mit Gender Aspekten. Sie wird an der Tagung über «Körperlichkeit, Sexualität und Sexualmoral der Katholischen Kirche» sprechen. Stephan Loppachers Beitrag als Präventionsbeauftragter des Bistums Chur und Kirchenrechtler wird über die Herausforderungen in der Prävention sprechen.

«Die Sexualität ist unter Druck», sagt Christoph Walser, «nicht nur durch die religiöse Dimension.» Seit der Aufklärung mit ihrer kontrollierenden Vernunft und dem Kapitalismus, der den Sex zum Konsumgut mache, sei es umso wichtiger, die spirituelle Dimension der Sexualität wiederzufinden.

 

Informationen zur Tagung
Getragen wird die Tagung von der Fachstelle Bildung und Propstei der Röm.-Kath. Landeskirche, der Paulus-Akademie Zürich und von Männer.ch, dem Dachverband Schweizer Männer- und Väterorganisationen.
Referentinnen und Referenten: Pierre Stutz, katholischer Theologe, spiritueller Lehrer, Dozent und Autor. Stephan Loppacher, Präventionsbeauftragter des Bistums Chur. Elke Pahud de Mortanges, Professorin für Dogmatik und Dozentin rund um Gender und Queerness. Christoph Walser, Theologe, Fachmann für Männerbildung und -beratung.
Hier finden sie das detaillierte Programm.  
Anmeldung bis am 18. Februar hier.

 

* Dieser Beitrag erschien zuerst im Aargauer Pfarreiblatt «Horizonte»