Agathabrot-Kranz aus der Innerschweiz. Gegen Heimweh und Hunger. Foto: Andreas Krummenacher
Dem Hunger etwas entgegensetzen
Am Tag der heiligen Agatha soll man Brot segnen. Denn dieses Brot soll nicht verderben und stets vor Hunger schützen. Vom Hunger im Neuen Testament handelt auch das neue Buch «Wut im Bauch» der Schweizer Theologin Luzia Sutter Rehmann.
Am 5. Februar, dem Tag der heiligen Agatha, werden in der Schweiz vielerorts Brote gesegnet. Der für unser Land erstmals im 15. Jahrhundert belegte Brauch ist vor allem in ursprünglich bäuerlichen Gegenden und den Alpentälern verbreitet. Das Agathabrot schützt Haus und Hof vor Feuer und Hunger. So wie der Schleier der im 3. Jahrhundert zum Tode verurteilten Agatha ihre Heimatstadt Catania vor dem Lavastrom des Ätnas rettete. Und es hilft bei Heimweh!
Hungerwissen
Heute mag es bizarr anmuten, dem Vieh vor dem Alpaufzug geweihtes Brot zu verfüttern oder den Knechten und Mägden, die im Frühjahr eine neue Stelle antreten, Agathabrot als Heilmittel gegen Heimweh mitzugeben. Wie kommt man dazu, Heimweh und Hunger mit Agatha und dem Feuer zu verbinden? Besser gefragt: Wer kommt dazu? Wer verbindet Brot mit Heimat? Und Fremde mit Brotlosigkeit und Not? Im Agathabrot steckt ein Wissen, das uns fremd geworden ist – ein Hungerwissen. Der Brauch erzählt von prekären Verhältnissen, von Mangel, Gefährdung und Not. Hunger brennt und wütet. Wie ein inneres Feuer frisst er einen auf und hinterlässt Ohnmachtsgefühle. Zieht hingegen ein Duft von gebackenem Brot durchs Haus oder das Dorf, dann weiss man, dass das Leben weitergehen wird.
Brot weckt die Erinnerung an gemeinsame Mahlzeiten, es bedeutet Geborgenheit und Teilhabe. Denn Brot hat man nicht für sich allein, sondern für die ganze Gemeinschaft gebacken. Gefährdet, aus der Gemeinschaft, ja aus dem Leben zu fallen, waren insbesondere Frauen, die geboren hatten, und die Neugeborenen. Man stärkte die Mütter mit dem Agathabrot, damit die Milch fliesse. Ein Stück Brot auf den risikoreichen Weg in die Fremde wiederum drückte Verbundenheit und Solidarität aus: Du hast Anteil am Brot, an der Gemeinschaft, am Leben. Ganz auf der Linie dieses Zuspruchs, ja dieser Vision, liegt auch der Brauch, das Agathabrot an die Armen zu verteilen. Auf dem Brot liegt ein Segen, eine Kraft, die weit über Sättigung hinausgeht und die Menschen in ihrer Würde aufrichtet.
Wut im Bauch
Vom Hunger im Neuen Testament handelt das neue Buch «Wut im Bauch» der Schweizer Theologin Luzia Sutter Rehmann. Es ist eine Entdeckungsreise. Denn obwohl Hunger weit verbreitet ist und biographisch möglicherweise nur eine oder zwei Generationen zurückliegt, tun wir uns schwer, den Hunger in den Evangelien zu sehen. Selbst wenn ausdrücklich vermerkt wird, dass Jesus Hunger hat (Mk 11,12), haben wir Lesenden seinen Hunger einige Zeilen weiter meist wieder vergessen. Weil wir den Hunger als ständigen Begleiter nicht kennen. Zudem haben wir andere Bilder im Kopf – Jesus, der zu Tische sitzt, der «Fresser und Säufer» (Lk 7). Und das hat seinen Grund. In der Bibel steht einer bilderreichen Ess-Sprache, so Sutter Rehmann, eine magere Hunger-Sprache entgegen. Sutter Rehmann geht bei den Hungrigen in die Schule und verweist auf Herta Müllers «Atemschaukel», einen Roman über das Lagerleben Rumäniendeutscher unter Stalin. Hier lernen wir, dass das Schweigen zum Hunger gehört. Über den Hunger spricht man nicht, im Gegenteil: «Wenn der Hunger am grössten ist, reden wir von der Kindheit und vom Essen.»
Unruhige Zeiten
Zu den Hungersignalen gehören nach Sutter Rehmann auch die Wutmomente, die in den Evangelien aufblitzen. Wenn Jesus einen Feigenbaum verflucht, da er keine Früchte trägt oder im Tempel aggressiv auftritt (beide Mk 11), versucht man seine Wut traditionellerweise als Kritik am Judentum und dem Tempel zu erklären. Mit der Hungerbrille erkennt man die Wut als Wut im Bauch. Vom Hunger und der damit verbundenen Gewalterfahrung genährt, verweist sie auf die Not der Zeit. Es ist «keine Süsse-Feigen-Zeit», sondern eine Zeit des Mangels. Die Massen strömen nicht zum Jordan, um Johannes den Täufer zu sehen (Mk 1). Sie hoffen, am Fluss etwas Essbares zu finden. Die Bevölkerung in Palästina besteht zu 90% aus armen Hungerleidern. Auch Jesus und seine Leute gehören dazu (Mk 3).
Was können wir dem Hunger entgegensetzen?
Wer den Hunger theologisch ernst nehmen will, dem sei das Buch von Sutter Rehmann wärmstens empfohlen. Es zeigt, wie Jesus «daran gearbeitet hat, die Wut über den Hunger und das Unrecht mit Solidarität zu unterfüttern, so zu kanalisieren, dass sie fruchtbar wird». Der Anblick der Armen berührt Jesus, «von Erbarmen ergriffen» handelt er. Mit diesen Hungrigen und Aufständischen will er ein Volk formen; das Volk, das sich aufmacht in das Land, wo Milch und Honig fliessen. Überzeugt, dass Gott und die Thora auf der Seite der Bedürftigen stehen, beginnt Jesus zu lehren und zu heilen. Text um Text (Mk, Lk, Apg) können wir sehen, wie die Jesusbewegung lernt, dem Hunger etwas entgegenzusetzen. Wie sie sich organisieren, Nahrung beschaffen, miteinander reden, teilen, hoffen und beten. Und so erfahren, wie der Messias Gestalt annimmt.
Angela Büchel Sladkovic
Hinweis: Luzia Sutter Rehmann, Wut im Bauch. Hunger im Neuen Testament, Gütersloh 2014, 464 Seiten, Fr. 53.90