Kindsbräute in Yemen. Foto: World Press Photo Contest 2012, Stephanie Sinclair für National Geographic
Der Arabische Frühling der Männer
«Carte blanche» für Jasmin El-Sonbati
Die Gewinner der besten Pressefotos des Jahres 2012 sind Ende Januar publiziert worden. Zwei davon stammen aus einem Land, das zu den Mitinitianten des Arabischen Frühlings gehört (hat), dessen Knospen jedoch nicht oder noch nicht oder gar nicht aufblühen wollen, dem Jemen. Die Fotografen haben Momente eingefangen, die etwas über die Situation der Frauen in der jemenitischen Gesellschaft und in der islamischen Welt ganz allgemein aussagen, nämlich die Bevorzugung der Männer gegenüber den Frauen. Natürlich darf man nicht verallgemeinern, der Jemen ist nicht Ägypten, Tunesien nicht Saudiarabien – vor allem in Bezug auf die Rolle der Frau. Einiges ist erreicht worden in den Bereichen Gleichstellung, Bildungschancen, Scheidungsgesetze. Genug ist es nicht. Jahrhundertealte Traditionen sind stärker als die oft halbherzig von den korrupten Regimes – denen sich die Bürgerinnen und Bürger ohnehin ausgeliefert fühlen – eingeführten Gesetze zur «Gleichstellung» von Mann und Frau. Im Lichte des einst hoffnungsvollen Arabischen Frühlings ist es an der Zeit, sich ernsthaft zu fragen, was sich verändert hat bzw. was sich für die Frauen verändert hat, die Seite an Seite mit den Männern für Freiheit und Menschenwürde im Jemen, in Tunesien, Ägypten, Lybien und derzeit in Syrien gekämpft haben und kämpfen. Kehren wir zu den Fotos zurück. Auf dem Pressebild des Jahres von Samuel Aranda sehen wir eine Frau, die einen Verwandten in Händen hält. Gleich einer Skulptur des Michelangelo, eine arabische Pietà, Menschen ineinander verschlungen, ein Mann und eine Frau. Die Protagonisten haben kein Gesicht. Er, weil er nach der Schlacht sein Gesicht erschöpft an der Schulter der Frau vergräbt. Sie, weil sie ihren Körper hinter schwarzem Stoff verbirgt. Das Bild hat mich tief bewegt, es drückt eine Art menschliche Machtlosigkeit aus, die doch irgendwie aufgehoben wirkt. Es hat mich aber auch wütend gemacht, denn es verdeutlicht diese Unsichtbarmachung der Frau, ihre quasi Auslöschung, die überall in den islamischen Ländern von bärtigen Männern und selbsternannten Moralhütern im Namen des Islams gepredigt werden. In Moscheen, in religiösen Talkshows, auf salafistischen Websites. Auch nach den Revolutionen. Das Bild der Amerikanerin Stephanie Sinclair in der Kategorie «Zeitgemässe Themen» ist nicht minder aussagekräftig: Zwei jemenitische Männer präsentieren ihre wesentlich jüngeren Kindsbräute. Die zirka 12- bis 13-jährigen Mädchen tragen farbige Kleider, das einzig fröhliche Element auf dem Foto, sie reichen ihren säbeltragenden, steinernen Gebietern knapp bis zu den Schultern. Allein beim Gedanken daran, dass sie mit diesen Männern – an die sie von ihren Vätern, Brüdern und wahrscheinlich auch von den Müttern ausgeliefert wurden – Sex haben werden, dreht sich mir der Magen um. Weder fremde Sitten und Gebräuche noch Religion können als Rechtfertigung herhalten. Es handelt sich um sexuellen Missbrauch Minderjähriger und ist ein Delikt. Im Jemen wie in allen anderen islamischen Staaten sind Kindesehen illegal. Die patriarchalisch strukturierten Gesellschaften kümmern sich einen Deut um Frauenrechte. Und dies wiederum führt uns zum zwischenzeitlich betrüblichen Fazit, dass der arabische Frühling ein Frühling der Männer ist. Die Frauen sind davon (noch) unbetroffen.
Jasmin El-Sonbati Gymnasiallehrerin, Autorin. Sie engagiert sich aktuell in Kairo für ein freies Ägypten. Autorenportraits