Stilleben mit zwei Rebhühnern von Chaim Soutine. Abfotografiert im Berner Kunstmuseum von Sandro Fischli.
Der Blick auf das Krumme und Geringe und Verlassene
Die Kunst von Chaim Soutine ist in Bern ausgestellt
Sandro Fischli hat die Ausstellung im Kunstmuseum mit den Bildern von Chaim Soutine (1893-1943) besucht.
Sandro Fischli
Der Künstler emigrierte als junger Mann aus den immer wieder unter Pogromen leidenden jüdischen Ghettos in Weissrussland nach Paris, wie sein ungleich berühmt gewordener Zeitgenosse Marc Chagall. Beide malten gegen das jüdische Bilderverbot an, beide auf je andere, unverkennbare Weise.
Von Chaim Soutine war einem grossen Publikum wenig bis gar nichts bekannt. Er blieb ein Geheimtipp, ein Artist’s Artist, unter anderen Malern hochgeschätzt. Wir haben nun die Gelegenheit, ein einzigartiges Werk sehen zu können, zu dürfen.
Soutine litt sein ganzes Leben bis zu seinem frühen Tod unter Entbehrung. Diese zeigt sich auch in seinen Bildern, die viel ums Essen, um Nahrungsmittel kreisen: Fleisch, Fische, Köche, Restaurants, Hotels. Litt er als Kind schon unter Hunger, so verdiente er später als Maler zu wenig. Als er endlich genug Geld hatte, bekam er Magenproblemen, die ihn zu Diäten zwangen und letztlich zu seinem Tod führen sollten. Hinzu kam die Bedrohung durch Rassengesetze, die Bilderkäufe verunmöglichten und die zunehmende Judenverfolgung.
Seine Bilder haben für mich aber erstaunlicherweise nichts Leidendes, keine Schreie Munchs. Sie strotzen vielmehr vor malerischer Leidenschaft und sind für das frühe 20. Jahrhundert wild. Seine Landschaften erinnern an die von Ernst Ludwig Kirchner, eines anderen Leidgeprüften. Alles verschmilzt in Farbe, kurz vor einem Verschwinden der Formen.
Soutines Porträts sind einsame lebende kleine Leute, seine Nahrungsmittel einsame tote Tiere, seine Landschaften und Orte leer. Alles ist schief und in dieser Schiefheit unglaublich lebendig.
In den Kommentaren zur Ausstellung heisst es, die Bilder seien beunhruhigend. Ich finde sie aber seltsam ruhig, in ihrer Ernsthaftigkeit, mit der sie alle gemalt sind. Das ist auch politische Kunst, ohne dass sie das Transparent politischer Kunst gross vor sich hertragen muss. Starke Bilder sprechen immer für sich selbst.
Kunstmuseum Bern: Chaïm Soutine. Gegen den Strom. Bis Sonntag, 01.12.2024