Verantwortlich für den Firmweg Bern-West: Kathrin Ritler und Romeo Centracchio. Foto: Ruben Sprich
«Der Glaubensweg beginnt mit der Firmung neu»
Kathrin Ritler und Romeo Centracchio im Gespräch
Die Verantwortliche für die Firmung Kathrin Ritler und der Firmbegleiter Romeo Centracchio begleiten in den Pfarreien Bern-West aktuell 19 junge Menschen auf dem Weg hin zur Firmung Ende Jahr. Im Gespräch erzählen sie von ihren Erfahrungen und was sie vermitteln wollen.
Interview: Andreas Krummenacher
«pfarrblatt»: Was kennzeichnet den Firmweg 17+?
Kathrin Ritler: Die Jugendlichen sollen sich mit den grossen Themen und Fragen des Lebens auseinandersetzen. Sie sollen kritisch werden, hinterfragen, ihr Interesse, ihren Glauben stärken, sich Wissen aneignen; und das Interesse, sich einzubringen, sollte geweckt werden. Sie entscheiden sich freiwillig für diesen Firmweg. Es gilt nun, sich ein Stück weit von der Sichtweise ihres Kindheitsglaubens abzugrenzen. Es gibt Begegnungen auf dem Firmweg mit Menschen, die man nicht per se mit der Kirche in Verbindung bringt.
Es geht darum, dass die jungen Erwachsenen überdenken, was Kirchesein eigentlich bedeutet, dass sie sich selbst als einen wichtigen Teil davon sehen. Wir haben hier in Bern-West eine kulturell sehr durchmischte Gemeinschaft. Das Elternhaus ist oft von der Herkunftskultur bestimmt. In der Pfarrei, auf dem Firmweg, eröffnen sich nun neue Dimensionen. Wir wollen die Beziehung, die wir über die Jahre im Religionsunterricht aufgebaut haben, nutzen, damit junge Menschen nach der Firmung, aber auch schon davor, mutige Schritte im Vertrauen machen, dass ihre Interpretation von Glauben genügt. Wir wollen einen Glaubensweg bestärken, der ja nicht mit der Firmung aufhört, sondern wieder neu beginnt.
Das tönt sehr herausfordernd und schwierig …
Ritler: Es ist vor allem spannend. Hoffentlich ist der Firmweg herausfordernd und tiefgehend. Wir wollen, dass die jungen Menschen Fragen stellen, sich interessieren. Wir haben beispielsweise einen Abend mit dem Leiter des Massnahmenzentrums St. Johannsen. Dort haben sie einen offenen Strafvollzug. Es gibt nun Jugendliche, die mit dem Konzept der Wiedergutmachung zunächst nichts anfangen können. Darüber diskutieren wir dann. Ich kann niemanden zu etwas überreden, aber wir können im Gespräch dazu anregen, die eigene Sicht zu erweitern.
Es gibt also keinen Theorieteil mehr, keinen Unterricht?
Ritler: Doch, das gibt es weiterhin. Wir bieten eine Plattform an. Hier dürfen die Jugendlichen kritisch sein, sie dürfen behaupten, ketzerische Gedanken äussern, hadern und dann wieder ganz konventionelle Ideen äussern. Wir Leitungspersonen erzählen und erklären, was wir aus der Bibel lesen. Wir glauben aber auch daran, dass jeder Mensch sein Bekenntnis weitergeben kann und soll.
Und was ist Ihre Aufgabe im Firmteam?
Romeo Centracchio: Ich bin die Verbindung zu den jungen Erwachsenen. Ich helfe, die Themen von einer anderen Seite her zu erklären, ich spreche ihre Sprache. Sie können mir auch Fragen stellen, wie ich das bei meiner Firmung erlebt habe. Diese liegt erst zwei Jahre zurück, ich bin also noch etwas näher dran als Kathrin. Ich kann aus meiner Sicht erzählen und erklären.
Alle Teilnehmenden sind in der Ausbildung, in weiterführenden Schulen. Ist die Organisation schwierig?
Centracchio: Für die Termine gibt es ein Programm, von dem sie eine bestimmte Anzahl Anlässe und Unterrichtseinheiten besucht haben müssen. Es basiert auf einem Punktesystem. 80 Prozent Anwesenheit ist Pflicht.
Die Konfirmation setzt einen Abschluss in der 9. Klasse. Das fällt nun mit dem späteren Termin der Firmung weg …
Ritler: Die Firmung muss der Start des erwachsenen Glaubensweges sein, niemals der Abschluss. Als Jugendliche:r ist es meine Entscheidung, ob mir das wichtig ist. Ich kann mich einbringen, ich habe vielleicht schon in einem diakonischen Projekt ein Engagement gefunden. Wenn ich das Glaubensbekenntnis verstehe, dann bin ich ein Teil dieser Gemeinschaft.
Centracchio: Es gibt bei uns in Bern-West viele Glaubensrichtungen. Reformiert, Hindu, Islam. Alle haben ihre Feste und Feiern. Die Reformierten waren auch nicht dominant, die «Konf» war in der 9. Klasse kein grosses Thema. Ich habe es nicht so empfunden, dass mir in der 9. Klasse ein kirchlicher Abschluss gefehlt hätte. Plusminus hatten wir alle ein religiöses Fest, einfach zu einem anderen Zeitpunkt. Das gehört dazu, nicht alle glauben dasselbe.
Dieser Firmweg lebt offenbar von den grossen Fragen und Begegnungen. Was steht noch auf dem Programm?
Ritler: Wir behandeln Themen wie: Glauben heute; das Glaubensbekenntnis; unsere jüdischen Wurzeln in einer Begegnung mit Likrat, einem Projekt jüdischgläubiger Jugendlicher; unser Gottesbild; die Feste im Kirchenjahr werden durch diakonische Einsätze miterlebt.
Aschermittwoch mit dem Aschenkreuz ist ein Fokus, um die Fastenzeit als Besinnung auf das Wesentliche und als Umkehr zu verstehen. «Tod und danach» ist auch stets ein wichtiger Anlass: Zu Beginn dieses Abends treffen wir jeweils einen Bestatter, der von seiner täglichen Arbeit erzählt, danach tauschen wir uns über die persönlichen Vorstellungen der Osterbotschaft aus. Eine Reise in der Gemeinschaft ist ein fixer Programmpunkt.
Was also ist die Firmung vor diesem Hintergrund? Eine Bestärkung auf dem Glaubensweg, der nun im Erwachsenenalter beginnt?
Ritler: Firmung ist die Bestärkung für einen Neustart. Es ist eine Bestärkung dessen, wie Gott mich in eine Gemeinschaft hineingesetzt hat.
Was ist mit den Firmpat:innen? Werden diese einbezogen?
Ritler: Darüber diskutieren wir immer wieder neu. Es gibt in diesem Jahr zum ersten Mal einen Nachmittag mit den Jugendlichen und ihren Firmpatinnen und Firmpaten, der in einem selbst gestalteten Gottesdienst endet. Das haben wir bislang nicht gemacht, weil die Pat:innen oft von weit her kommen. Nach dem Gottesdienst gibt es natürlich noch ein gemeinsames Essen. Darauf freue ich mich. Firmpaten müssen erwachsen sein, müssen getauft sein und zu den Jugendlichen einen guten Draht haben. Am besten aber bitte nicht die Eltern.
Würde Ihnen etwas fehlen, hätten Sie die Firmung nicht gemacht?
Centracchio: Das Leben wäre weitergegangen (lacht). Der Firmweg gab viele Gedankenanstösse. Ich habe durch die Fragestellungen eine andere Sicht auf bestimmte Dinge erhalten. Die Bindung zur Kirche allgemein wurde gestärkt, auch zur Gemeinschaft in der Kirche und vor allem zu den anderen Jugendlichen. Die Diskussionen und den offenen Umgang habe ich geschätzt. Durch den Abschluss dieses Weges fühle ich mich gestärkter, um bei all diesen Themen mitzureden; ich werde dabei auch akzeptiert. Ich fühle mich selbstbewusster. Vorher war ich ein Praktikant, jetzt bin ich ein vollwertiges Mitglied.
Was bleibt am Schluss?
Ritler: Ich hoffe jeweils, dass der Kontakt bleibt, dass die jungen Menschen eine grundsätzlich positive Erfahrung machen können. Sie sollen wissen, dass sie gehört werden, dass nicht alles von älteren Menschen in unbekannten Gremien entschieden wird, dass sie teilhaben können und mithelfen dürfen. Die jungen Menschen sollten selbstbewusst hinterfragen und in diesem wichtigen Vorbereitungsjahr ihren Glauben reflektieren. Sie sind Kirche, so wie sie unterwegs sind, sie sind durch die Taufe schon lange ein Teil davon.