Clara Obermüller. Foto: Michel Gilgen

«Der Karsamstag passt besser zu mir als Ostern»

12.03.2020

Ein Gespräch über Tod, Leben und Glück mit der Journalistin Klara Obermüller anlässlich ihres 80. Geburtstags

Als Journalistin hat Klara Obermüller Schweizer Kirchenthemen mit geprägt. Am Karsamstag wird sie 80. Ein Gespräch über Tod, Leben – und Glück.

Raphael Rauch

Was ist für Sie schwieriger: Der Karsamstag – oder der 80. Geburtstag?

Klara Obermüller: Der 80. Geburtstag bedeutet: Jetzt bin ich wirklich alt. Er gibt mir ein Gefühl von Begrenztheit. Ein kleiner Aufschub, der jederzeit kippen und zu Ende sein kann. Das treibt mich um.

Sie sagen das mit einem Lächeln.

Solche Gedanken haben ja auch eine positive Seite. Das Alter ist ein Geschenk.

Und der Karsamstag?

Er ist ein Tag des Dazwischen, ein Tag der Erwartung: Der Karfreitag ist vorbei, aber wir haben noch nicht Ostern. Ostern ist erst im Werden, im Entstehen. Das ist ein Moment, den ich sehr schätze. Vielleicht eignet sich der Karsamstag ganz gut für den 80. Geburtstag: Vieles ist schon geschehen. Aber vielleicht das Wesentliche noch nicht. Das ganze Leben ist doch ein einziges Werden, ein dauernder Wandel, nie abgeschlossen – und doch vergehend.

Ein besonderer Karsamstag in Ihrem Leben?

Die Grabeskirche in Jerusalem: Wir warten und warten bis zur Osternacht, «Christos Anesti!», «Christus ist auferstanden!». Alle jubeln, die ganze Kirche ist ein einziges Flammenmeer.

Die Osternacht ist aufregender als der Karsamstag.

Der Karsamstag passt besser zu mir als Ostern. Im Karsamstag steckt der Zweifel, noch nicht die angebliche Gewissheit von Ostern.

Wenn schon während des Karsamstags und nicht erst abends in der Osternacht gepredigt würde: Was wäre eine gute Predigt?

Ich würde über die Stimmung im Freundeskreis Jesu predigen: völlig hoffnungslos, verzweifelt und zweifelnd. Der Mensch, den sie für den Messias hielten, hängt erst am Kreuz, wird dann begraben und verwesen. Wer schon mal an einem Sterbebett war, kann das nachvollziehen. Da wird die biblische Erzählung ganz konkret. Ohne Dogmen, ohne ideologischen Überbau.

Der Karsamstag ist der Tag der Grabesruhe. Mögen Sie Friedhöfe?

Nicht sonderlich. Ich gehe ab und zu zum Grab meines verstorbenen Mannes, Walter Matthias Diggelmann. Aber der Ort des Gedenkens ist meine Erinnerung, sind meine Gefühle. Die kann ich überall haben.

Welche Träume haben Sie für das nächste Lebensjahrzehnt?

Auf der einen Seite denke ich mir: Das war‘s, jetzt passiert nichts grundlegend Neues mehr. Aber ich spüre auch etwas anderes: Lust auf ein Abenteuer, eine grosse Reise, eine neue Freundschaft. Vielleicht sind das utopische Gedanken, aber sie gehören zum Lebendigsein.

Über welche Geschenke freuen Sie sich?

Über Telefon-Anrufe am Geburtstag, eine WhatsApp, eine Karte. Wenn jemand, der mir wichtig ist, meinen Geburtstag vergessen würde, würde mich das schmerzen.

Was macht Sie glücklich?

Ein Plätzchen möglichst weit oben in den Bergen. Ist ja egal, ob ich mit der Seilbahn hochkomme oder zu Fuss. Oben ausruhen und staunen – das ist Glück.


Klara Obermüller wurde am 11. April 1940 in St. Gallen geboren und wuchs in Zürich auf. Sie arbeitete unter anderem für die NZZ, die «alte Weltwoche», wie sie sagt, und war Moderatorin der «Sternstunde Philosophie» des Schweizer Fernsehens. Mit Mitte Zwanzig trat sie aus der reformierten Kirche aus. Für die katholische Kirche interessiert sie sich beruflich wie privat: Sie ist mit dem ehemaligen Kapuziner-Pater und SRF-Religionsjournalisten Kurt Studhalter verheiratet, das Paar lebt in Männedorf ZH. Im April erscheint von Klara Obermüller ein neues Buch: «Die Glocken von San Pantalon: ein venezianisches Tagebuch» (Xanthippe-Verlag Zürich).