Marsch für «Null Toleranz» bei sexuellem Missbrauch durch Geistliche in der katholischen Kirche. Überlebende und ihre Angehörigen demonstrieren am 23. Februar in Rom. Foto: Reuters, Yara Nardi
Der Zorn Gottes
Ein Blick zurück zur Anti-Missbrauchskonferenz im Vatikan
Beobachtungen, Notizen und Überlegungen zur vatikanischen Tagung über sexuelle Gewalt in der katholischen Kirche
Von Andreas Krummenacher
Knapp 190 Bischöfe, Ordensvertreter und einzelne Expertinnen haben im Vatikan darüber diskutiert, wie man künftig in der katholischen Kirche Kinder vor sexueller Gewalt schützen kann. Die Zusammenkunft wurde unter dem Titel zum «Schutz Minderjähriger in der Kirche» veranstaltet. Das mutet erstaunlich an, dass man also nicht annehmen kann, dass Kinder im kirchlichen Zusammenhang bislang uneingeschränkt Schutz genossen haben.
Es geht dabei, sollten man das vergessen haben, um sexualisierte Gewalt und Ausbeutung. Die Erwartungen waren gewaltig. Von Zeitenwende war die Rede, von «kopernikanischer Wende» sprach gar ein Kardinal. Wahlweise wurde erwartet, dass das kanonische Recht abgeändert, der Zölibat abgeschafft oder Frauen zum Priester*innenamt zugelassen würden. Angesichts dessen konnte die Konferenz nur scheitern. Die Erfahrungen mit der Kirche hätten das zeigen sollen.
Opferverbände und Opfervertreter*innen wurden nicht zur Tagung eingeladen. Sie demonstrierten auf dem Petersplatz oder versuchten an anderen Orten auf sich aufmerksam zu machen. Die Bischöfe waren offenbar angehalten, sich im Vorfeld mit Opfern zu treffen.
Einzelne Opferberichte wurden an der Konferenz im Plenum verlesen, eine rund 50-jährige Frau berichtete den Kirchenoberen ausführlich, wie ein Priester sie als Kind über fünf Jahre hinweg vergewaltigte, sie zu drei Abtreibungen zwang und den Rest ihres Lebens zerstörte. Das Bild aber blieb haften, dass die Opfer auf dem kalten Petersplatz ausharren mussten, während die Bischöfe im warmen Inneren debattierten.
Der Vatikan hat seine Kommunikationsabteilung komplett umgestellt und neu organisiert. Viele ehemalige Journalist*innen sind nun Teil davon. Sie alle sollen helfen, in verständlicher Sprache die vatikanischen Abläufe zu vermitteln. Man muss konstatieren: Sie haben versagt. Es ist ein PR-Desaster. Ein Papst, der in seiner Rede mit dem Finger auf andere zeigt, im Stil von, «bei den anderen ist es noch viel schlimmer», ist ein Desaster. Das ist Ablenkung. Wenn es ein Problem gibt, das mich betrifft, dann spielt alles andere keine Rolle, ich muss meinen Teil zur Lösung beitragen. Punkt.
Gleichwohl: Der Papst scheint es gut gemeint zu haben. Er wollte den Missbrauch in einen grossen, globalen Kontext stellen. Liest man die Rede, erkennt man, dass es ihm darum ging, gemeinsam und überall das Thema zu behandeln und anzusprechen. Nur so könne man Opfer verhindern. Die Sprech-Taboos in Gesellschaft, Familie, Kirche müssten abgebaut werden. Das konnte kommunikativ nicht gelingen, weil es ja explizit um die Kirche gehen sollte und viele vom Papst innerkirchliche, strukturelle Veränderungen erwartet hatten.
Nun sind diverse Papiere und Massnahmen angekündigt. Päpstliche Schreiben sollen folgen, die Regeln und Vorgehensweisen sollen den Bischofskonferenzen in verbindlichen Handreichungen Klarheit verschaffen. Eine Task-Force soll einspringen, wenn in einem Land das Thema nicht bewältigt werden kann oder Bischöfe mit dem Thema überfordert sind. Es wäre gut gewesen, hätte Papst Franziskus all das in seine Rede eingebaut.
Es gibt eine grosse Zahl Menschen in dieser Kirche, die sich engagieren, die eine ausgezeichnete Arbeit leisten. Katechetinnen, Theolog*innen und Priester, Sie müssen sich zu Wort melden. Viele Gläubig, die in den Pfarreien in der Schweiz mitmachen, Andachten besuchen, Segensfeiern, Seniorenkaffees – sie alle leben einen sehr lokalen Katholizismus, recht eigentlich losgelöst von Rom. Was bedeutet das? Ist das bereits eine Kirchenspaltung oder gelebt-reale Katholizität?
Die Schweizerische Bischofskonferenz hat strenge Richtlinien erlassen, pflegt Opferberatungsstellen, Anlaufstellen, es werden Statistiken geführt mit den jährlichen Meldungen zu sexuellen Übergriffen und dergleichen. Gleichwohl fehlt eine systematische Aufarbeitung der letzten 50 Jahre. Die Dunkelziffern sind gewaltig. Orden sind kaum erforscht, die Behandlung der Ordensfrauen, Belästigungen, Übergriffe, psychische Gewalt — grosse Unbekannte. Die Zahl der Menschen, die in den 1950er und 1960er Jahren Opfer wurden, angefangen bei peinlichen Befragungen in den Beichtstühlen, dürfte enorm sein.
Das Thema macht mich wütend und nach all den Jahren auch ratlos. Ich kann es kaum begreifen. Was nützen da noch zornige Kommentare? Es wurde Menschen Leid angetan, immer wieder, tausendfach. Man darf nicht aufhören, darüber zu sprechen und zu schreiben. Das Wertvolle dieser Kirche, die oberste Pflicht dieser Kirche gilt nicht der Institution an sich, sondern jedem einzelnen Menschen.
Der beste Satz von Papst Franziskus an dieser Tagung: «(...) In der Tat erblickt die Kirche in der gerechtfertigten Wut der Menschen den Widerschein des Zornes Gottes, der von diesen schändlichen Gottgeweihten verraten und geohrfeigt wurde. (...)»