Die 7 Kardinaltugenden. Die wichtigste ist die Liebe - oder doch die Klugheit? Foto: Pia Neuenschwander
Die 7 Haupttugenden
Grundlagen für sämtliche weitere Tugenden. Der Beitrag von Synes Ernst zur Jahresserie um die Zahl 7.
Wenn wir von der Mystifizierung der Sieben im Christentum sprechen, nehmen die sieben Haupttugenden einen zentralen Platz ein. Sie stellen nämlich nichts anderes dar als die Summe christlicher Lebensführung.
Genuin christlich ist die Lehre von den Tugenden allerdings nicht. Kirchenväter, frühchristliche Exegese und Theologie, welche die Vorstellung von den Tugenden bis heute, zum Beispiel bis zu den Formulierungen im «Katechismus der katholischen Kirche» geprägt haben, hatten ihre Vorläufer in der griechisch-römischen Antike.
Seit Platon (427– 347 v. Chr.) gelten Klugheit oder Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mässigung als die vier klassischen Grundtugenden. Dass die Frömmigkeit heute in keinem Tugendkatalog erscheint, ist ebenfalls auf Platon zurückzuführen, der Klugheit/Weisheit höher wertete als die Frömmigkeit. Welch eine Weitsicht!
Aristoteles (384–322 v. Chr.) hat auf der Basis von Platons Haupttugenden die abendländische Morallehre begründet. Unter den römischen Philosophen war es namentlich Cicero (106– 43 v. Chr.), der die Diskussion um die wichtigsten Tugenden vorantrieb.
«Wenn jemand Gerechtigkeit liebt, in ihren Mühen findet er die Tugenden. Denn sie lehrt Mass und Klugheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit, die Tugenden, die im Leben der Menschen nützlicher sind als alles andere.» Diese Stelle aus dem Buch der Weisheit (8,7) belegt, dass die vier antiken Haupttugenden auch im Alten Testament bekannt waren.
Für die Herausbildung der christlichen Tugendlehre im Neuen Testament war dann entscheidend, wie Jesus die zehn Gebote des Moses auslegte und wie er etwa in den Seligpreisungen die Grundlagen eines christlichen Lebens formulierte.
Mit dem Apostel Paulus kam eine weitere Komponente dazu – die drei göttlichen Tugenden. Im ersten Brief an die Korinther (1 Kor 13,13) schrieb er: «Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am grössten unter ihnen ist die Liebe.»
Papst Gregor der Grosse (540–604) verband die vier klassischen Tugenden der Antike mit den drei paulinischen zum seither bestehenden Kanon der sieben christlichen Haupttugenden. Besondere Bedeutung massen die Kirchenväter den vier antiken Tugenden bei, die sie neu als «Kardinaltugenden» bezeichneten. Der Begriff verweist auf das lateinische Wort «cardo», zu Deutsch «Türangel». Thomas von Aquino (1225–1274) schreibt: «Eine Tugend heisst Kardinaltugend …, weil an ihr die andern Tugenden befestigt sind wie die Tür an der Angel.»
In der Tradition des Apostels Paulus haben verschiedene Kirchenlehrer, so Augustinus (354–430) und Thomas von Aquino, die Liebe als wichtigste Kardinaltugend bezeichnet. Anders der für die moderne christliche Philosophie wichtige deutsche Denker Josef Pieper (1904–1997). Er setzt die Klugheit auf den ersten Platz, da nur wer klug sei, auch gerecht, tapfer und massvoll sein könne: «Der gute Mensch ist gut kraft seiner Klugheit.»
Synes Ernst
<link pfarrblatt-angelus pfarrblatt-bern serie-2017>Die Jahresserie 2017 im Überblick