Wer Siebenmeilenstiefel trägt, kann innert kürzester Zeit weite Strecken zurücklegen. Foto: Pia Neuenschwander
Die 7meilenstifel
Im Märchen hatte der kleine Däumling die Siebenmeilenstiefel durch eine List erworben. Im übertragenen Sinn können sie durchaus auch geistig getragen werden.
Wer Siebenmeilenstiefel trägt, kann innert kürzester Zeit weite Strecken zurücklegen. Wie viele Menschen haben davon geträumt, diese Fähigkeit zu besitzen! In Sagen und Märchen gibt es sie. Bis heute hat diese Form der magischen Sieben ihre Faszination bewahrt.
«Citius, altius, fortius!» Hinter dem auf den französischen Dominikaner Henri Didon zurückgehenden Motto der modernen olympischen Bewegung steht unter anderem auch ein uralter Menschheitstraum: «Schneller, höher, stärker!» Solche Träume waren immer auch ein Thema in Sagen und Märchen. So wird der sehnliche Wunsch, sich schneller als alle anderen fortzubewegen, in der griechischen Sagenwelt durch die geflügelten Schuhe symbolisiert, die Göttervater Zeus dem Götterboten Hermes schenkte.
Der kleine Däumling jedoch, den wir alle aus dem gleichnamigen Märchen des Franzosen Charles Perraut kennen, wäre nicht so berühmt worden, hätte er die Siebenmeilenstiefel einfach geschenkt bekommen. Nein, mit einer List hat er sie dem schlafenden Riesen und Menschenfresser abgenommen.
Die modernen Siebenmeilenstiefel heissen Speedjumpers. Das sind Sprungstelzen aus Fiberglas. Spezialisten machen mit diesem Sportgerät Sprünge von drei Metern und erreichen Geschwindigkeiten bis zu 40 Stundenkilometern. Gemäss Werbung fühlt man sich dabei «fast wie ein Känguru».
Ein österreichischer Betrieb nennt sein Produkt «Siebenmeilenstiefel», was ein Händler so kommentiert: «Der Hersteller hat diesen sehr klugen Namen gewählt, der natürlich marketingmässig einiges hergibt.»
Doch nicht nur im Sport gibt es solche Wunderdinger, auch in der Informatik. Zumindest träumt ein Software-Hersteller davon: «Unternehmen müssen zerklüftete IT-Landschaften überwinden, Informationsdschungel durchdringen sowie breite Datenströme und Traffic-Gipfel bezwingen. Da können Siebenmeilenstiefel nicht schaden: auch, weil dann vieles von alleine läuft.»
Der Dichter Heinrich Heine verwendete den Begriff «Siebenmeilenstiefel», als er 1827 über Kaiser Napoleon schrieb: «Die Stirne war nicht so klar, es nisteten darauf die Geister zukünftiger Schlachten, und es zuckte bisweilen über dieser Stirn, und das waren die schaffenden Gedanken, die grossen Siebenmeilenstiefel-Gedanken, womit der Geist des Kaisers unsichtbar über die Welt hinschritt – und ich glaube, jeder dieser Gedanken hätte einem deutschen Schriftsteller zeit seines Lebens vollauf Stoff zum Schreiben gegeben.»
Heine war bei dieser Formulierung nach Meinung des Germanisten Norbert Waszek vom Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 –1831) beeinflusst. Dieser habe den Begriff «Siebenmeilenstiefel» benutzt, «wenn er die sich in Umbruchzeiten plötzlich beschleunigende Gangart des Weltgeistes charakterisieren wollte».
Mit anderen Worten: Für Hegel entsteht das Neue in der Geschichte, nachdem ein Mensch unter besonderen Umständen schneller, weiter und radikaler gedacht hat als alle anderen – mit geistigen Siebenmeilenstiefeln.
Synes Ernst