Irene Neubauer lässt ihre prägende Arbeit bei der offenen kirche bern hinter sich. Foto: Pia Neuenschwander.

«Die City-Kirche soll im Weg stehen»

12.07.2021

Irene Neubauer, Theologin in der offenen Kirche, geht in Pension.

Beinahe 14 Jahre lang hat sie das Wirken der offenen kirche bern mitgeprägt, jetzt will sich Irene Neubauer mit ihrer Pensionierung anderen Herzensprojekten widmen. Ein Abschiedsrückblick.

Von Sabrina Durante

Kurz bevor Irene Neubauer 2007 zum Projektleitungsteam der offenen kirche bern stiess, wurde der Bahnhofplatz neugestaltet. In einem Leserbrief beschwerte sich jemand, die Heiliggeist-Kirche stehe hier einfach im Weg. Diesen Vorwurf nahm Irene Neubauer als Ansporn: «Genau das ist unser Auftrag» fand sie, «mitten im pulsierenden Stadtleben, wo das Motto «schneller ist besser» vorherrscht, den Raum für andere Dimensionen des Lebens offen zu halten».

Die Theologin, die zuvor zehn Jahre in der Redaktion des Magazins «Wendekreis» tätig war, hatte sich bewusst für eine Tätigkeit näher bei den Menschen entschieden. Die drei Grundprinzipien der offenen kirche bern, spirituelle Tiefe, kulturelle Weite und soziales Engagement kamen ihr dabei sehr entgegen. «Es war mir ein Anliegen, ganz Ohr, unser Seelsorge-Angebot auszubauen: Mit Hilfe von gut ausgebildeten Freiwilligen können wir so jeden Tag eine Stunde Seelsorge anbieten.»

Entschleunigung ist auch ein grosses Thema für sie: Jeweils Anfang November findet die «Stop nonstop-Woche» statt, um die Menschen wieder daran zu erinnern, wozu die Natur zu dieser Jahreszeit einlädt: Einkehr statt Einkaufsstress. Ebenfalls im November hat sich in den vergangenen Jahren der «Kauf-nix-Tag» etabliert: einen Tag lang sich Zeit nehmen und ruhig werden, anstatt im Kaufrausch zu ächzen. Überhaupt hält Irene Neubauer Gier für eines der grössten Übel der Menschheit. Dem wollte sie mit kleinen, ruhigen Aktionen etwas entgegensetzen.

Gemeinsam suchend unterwegs

Die Heiliggeist-Kirche wurde ursprünglich für die Armen, Kranken und Heimatlosen im 13. Jahrhundert gebaut. Dieser «Spiritus Loci» schwingt immer noch mit: ihre Türen sind offen für alle, auch für jene, die gerne übersehen werden. «Es ist ein unglaubliches Privileg, einen Ort wie diesen zu nutzen und fruchtbar zu machen», so Neubauer. Ein Projekt, das das Potential dieses Ortes widerspiegelte, war 2013 «Bern schwarz»: das Team der offenen kirche bern sprach die verschiedenen schwarzen Communities in Bern an und bot ihnen eine Plattform, um sich zu präsentieren. «Wichtig war für uns, dass wir diese Aktion nur mit ihnen, nicht für sie durchführten», erinnert sich Neubauer. «Es war ein Türöffner für beide Seiten: die Kontakte sind geblieben, die Migranten-Communities haben bei uns ein Zuhause gefunden».

Zentral für die offene kirche ist auch die interreligiöse und interkulturelle Offenheit. So ist die jüdische Gemeinde Bern seit Gründung Mitglied der Trägerschaft und im Vereinsvorstand vertreten. «Wir sind gemeinsam und suchend unterwegs mit Menschen ganz unterschiedlicher religiöser, weltanschaulicher und kultureller Zugehörigkeit ¬– das ist Teil unserer DNA».

Von der Weisheit der Lakotas inspiriert

2014 erfüllte sich Irene Neubauer einen Herzenswunsch und bereiste während zweier Monate die USA, von Küste zu Küste. Dabei kam sie auch in Kontakt mit indianischen Persönlichkeiten der Lakotas. «Die Kernphilosophie dieses Volkes hat mich sehr beeindruckt: für sie sind Tiere und Pflanzen nicht etwas, worüber man einfach verfügen kann, sondern gehören zum erweiterten Kreis ihrer Verwandten. Diese tiefe Verbundenheit mit allem Lebendigen möchte ich weitergeben». Unter anderem ihrem ersten Enkelkind, für das sie sich nun viel Zeit nehmen will.

Sie schaut zurück auf eine bewegte, inspirierende Zeit: «Die offene kirche bern will ein Ort sein für alle, die auf der Suche sind, auch und vor allem für jene, die sich im kirchlichen Umfeld nicht mehr beheimatet fühlen. Wenn nicht wir, wer soll sonst für diese Menschen und ihre Fragen da sein?»