GaiaMotherTree. Installation von Ernesto Neto im Bahnhof Zürich

Die Erde retten

24.07.2018

In den White Mountains in Kalifornien stehen 5000 Jahre alte Kiefern, in Schweden gibt es Wurzelsysteme, aus denen seit tausenden von Jahren immer wieder genetisch identische Fichten wachsen – alte Bäume faszinieren.

Der Künstler Ernesto Neto hat auch einen Baum gepflanzt. Mitten in der Bahnhofshalle in Zürich. Diesen Baum hat er zunächst, gemeinsam mit Menschen des indigenen Amazonasstammes der Huni Kuin, aus bunten Baumwollbändern geknüpft und dann, 20 Meter hoch unter die Bahnhofsdecke gehängt. Damit das statisch funktioniert, gibt es überall grosse Beutel, gefüllt mit Gewürzen. In der Mitte sorgen 70 Kilo Pflanzensamen für das Gegengewicht. Der Baum kann betreten werden, man kann fühlen, riechen, es ist ein Ort der Begegnung, der Meditation, mit einem vielfältigen Veranstaltungsprogramm. Es ist ein organisches Werk, sinnlich, berührend. Spiritualität, verbunden mit Humanismus und Ökologie sind denn auch bedeutende Aspekte der künstlerischen Arbeit des 54-jährigen Brasilianers Ernesto Neto.

«GaiaMotherTree» nennt er seinen Baum. Gaia ist in der griechischen Mythologie eine der ersten Gottheiten, es ist die personifizierte Erde.

Seit Urzeiten sind die Bäume auf der Welt. Im biblischen Schöpfungsbericht kommen sie noch vor den Menschen auf die Erde. Sie stehen als Baum des Lebens und Baum der Erkenntnis im Paradies und bringen Frucht. Baumwurzeln reichen tief in den Boden, gleichzeitig ragen die Baumkronen hoch in den Himmel. Bäume verbinden Himmel und Erde. Hier offenbart sich seit Urzeiten das Göttliche. Erkenntnis lässt sich gewinnen. Etwa die, dass man in materialistischen Zeiten Spiritualität zurückgewinnen kann. Naiv vielleicht, aber das ist dem Künstler wohl bewusst. Seine Gaia ist im perfekten Gleichgewicht, unsere Erde ist es nicht mehr. Wir zerstören des Geldes wegen jene Wurzelsysteme, die uns tragen. Wie wir die Balance erneut finden können, das hofft Ernesto Neto beispielsweise bei den Huni Kuin zu erfahren. Sie leben komplett im Einklang mit der Natur. Darüber zu meditieren, dazu lädt der Künstler ein. Man muss sich aber beeilen, am 29. Juli wird der Baum abgebaut.

kr