Elsa Zylberstein: «Es reichte nicht, mich physisch zu verwandeln. Ich musste in mir Tiefe finden, damit die Kraft und der Schmerz zu erkennen sein würden.» Foto: zVg

«Die Erfahrung von Auschwitz musste in meinen Augen erkennbar sein»

17.04.2023

Simone Veils Leben verfilmt

Simone Veil überlebte den Holocaust und wurde zur Pionierin in Frankreichs Justiz und Politik. Über ihren Kampf gegen Ungerechtigkeit und für Frieden erzählt der Film «Simone Veil – ein Leben für Europa». Im Gespräch erzählt die Initiantin und Darstellerin Elsa Zylberstein über ihre Motivation und die Herausforderung, Simone Veil zu werden.

Interview: Hannah Einhaus

«pfarrblatt»: Was hat Sie dazu bewogen, das Leben von Simone Veil zu verfilmen?

Elsa Zylberstein: Ich habe ihr vor gut zehn Jahren bei einem Ehrendinner in Paris einen Preis übergeben und zu ihr gesprochen. Während der Rede ist in meinem Herzen etwas passiert. Ich war ergriffen von ihrer Eleganz und ihrem starken Auftritt, von ihren blaugrünen Augen voller Mitgefühl und Menschlichkeit.

Was beeindruckte Sie besonders an ihr?

Ihr Leben war geprägt von ihrer Widerstandskraft gegen Gewalt. Simone Veil hat Auschwitz überlebt. Wie ist sie aus der Hölle entronnen? Wie kann man aus der Dunkelheit wieder ans Licht kommen und sein Leben leben? Als Jugendliche hatte sie im KZ Unrecht und Würdelosigkeit erfahren. Ganz unbesehen davon, was jemand gemacht hatte, war es für sie zeitlebens unerträglich, wenn Menschen wie Hunde behandelt und erniedrigt wurden.

Nach ihrem Tod entschied ich, diesen Film zu machen – auch ein Film gegen den Fatalismus. Für mich stand fest, wer ihn als Regisseur auf geniale Weise realisieren könnte: Olivier Dahan, der den Film über Edith Piaf gedreht hatte. Ich rief ihn an, und drei Stunden später sagte er zu.

Was war für Sie als Schauspielerin das Schwierigste an dieser Rolle?

Es reichte nicht, mich physisch mit viel Make-up zu verwandeln und neun Kilogramm zuzunehmen. Ich musste in mir Tiefe finden, damit die erlebte Gewalt, die Erfahrung von Auschwitz, die Kraft und der Schmerz in meinen Augen zu erkennen sein würden. Mein Wesen musste sich mit dem Äusseren verbinden – das war die grosse Herausforderung. Es war eine intime, körperliche Arbeit, auf ihre Art zu gehen und zu sprechen. Es ging darum, Simone zu werden, aber es musste natürlich wirken.

In Europa hat Simone Veil ein Vorbild für den Frieden gefunden …

Europa nach 1945 war für sie ein Friedensprojekt. Bei dem, was sie durchgemacht hatte, brauchte es eine gute Portion Intelligenz und Toleranz, um sich für die französisch-deutsche Verständigung einzusetzen. Nach ihrem Leiden im KZ hätte sie einen Hass auf Deutschland haben können. Aber sie glaubte an die Menschlichkeit, an die Menschen. Sie hatte diese Kraft.

Ab wann engagierte sie sich denn für eine Aussöhnung mit Deutschland?

Anfang der Fünfzigerjahre begleitete sie ihren Mann Antoine Veil auf einer beruflichen Mission nach Deutschland. Sie lebten dort mehrere Jahre. Sehr rasch trat Simone Veil daraufhin für eine Aussöhnung ein.

Wann setzte sie sich für die Erinnerung an die Shoah ein?

Sie war die erste Präsidentin der «Fondation pour la Mémoire de la Shoah», von 2001 bis 2007, und später Ehrenpräsidentin. Man hat mir erzählt, dass sie sich oft vor die Mauer des Shoah-Denkmals im Pariser Marais stellte, um ihren Blick über die Namen der Zehntausenden jüdischen Opfer streifen zu lassen.

Was würde sie wohl heute zum Krieg in der Ukraine sagen?

Es steht mir nicht zu, für sie zu sprechen. Wenn ich aber sehe, wie sie sich zu den Gräueln in Ex-Jugoslawien äusserte, würde sie die Situation der Menschen in der Ukraine bestimmt in Aufruhr versetzen.
 

«Simone Veil – ein Leben für Europa»: ab 20. April im Kino
Die Französin Simone Veil (1927–2017) überlebte Auschwitz, was später zum Antrieb für ihren Einsatz gegen Ungerechtigkeiten und für die Versöhnung mit Deutschland wurde. Die studierte Juristin wurde Richterin und später Ministerin. Im Nachkriegseuropa sah sie ein Friedensprojekt und wurde 1979 erste Präsidentin des Europaparlaments. Ab 2001 präsidierte sie Frankreichs «Fondation pour la Mémoire de la Shoah».
Der Film «Simone Veil – ein Leben für Europa» ist ab 20. April in den Deutschschweizer Kinos zu sehen. Er geht auf die Initiative der Veil-Darstellerin Elsa Zylberstein zurück.